Highlights: San Telmo, La Boca, San Nikolas, Palermo, Puerto Madero, Plaza de Mayo
Tausend Blicke verfolgten uns, als wir mit unseren Reisevehikeln durch die Hauptstadt Argentiniens fuhren und nach unserem Apartment Ausschau hielten. Schon beim ersten Stopp an einem Lichtsignal wurden wir von Menschen aus der Menge mit Fragen durchs Wagenfenster bombardiert: «Von wo seid ihr?», «Schreibt ihr eine Dokumentation?», «Dreht ihr einen Film?» - und alle Fragen wurden mit einem höflichen «Darf ich mir erlauben...» gestellt.
Die Neugier der Menschen in dieser Stadt hat uns total überrascht. Hier wird noch geredet, diskutiert... Die Porteños, so nennen sich hier die Stadtbewohner, führen anscheinend oft lange und hitzige Debatten - dies stellten wir schnell einmal fest, nachdem wir einem Interessierten offenbart haben, dass wir keine Amerikaner sind. Dann ging's schon los: Die Vereinigten Staaten regieren die Welt, niemand setzt ihnen etwas entgegen... Kyoto, Irak... als er in Fahrt kam, verstanden wir nur noch Bahnhof. Die Argentinische Sprache ist schwierig zu verstehen - zuviel unterscheidet sich von dem in der Schule gelernten Spanisch, als dass man am ersten Tag alles verstehen könnte...
Nachdem wir unsere Wohnung bezogen und unsere Fahrzeuge in einem Estacionamiento (Bewachtes Parkhaus) untergebracht hatten, machten wir uns daran, die Stadt zu erkundschaften. Die darauf folgenden Tage genossen wir die Zeit in den umliegenden Vierteln Congreso, San Nikolas, Palermo und San Telmo... Die Stadt selber bietet dem Reisenden, verglichen mit Städten wie Paris oder Venedig wenig touristische Sehenswürdigkeiten - es ist viel mehr der Charme und die Freundlichkeit der Menschen, die einem in ihren Bann zieht. Fährt man mit dem Bus durch die Stadt, fallen einem die Lauftexte auf den Digitalanzeigen auf: «Touristen sind interessierte Menschen, die unsere Stadt besichtigen wollen. Behandle sie nett und sei hilfsbereit...». Dass die Leute hier hilfsbereit sind, stellt man schnell fest. Fragt man nach dem Weg, oder auch nur wie irgendwas in Castellano heisst, erhält man einen riesigen Text als Antwort zurück... die Porteños nehmen sich gerne Zeit, um etwas ganz genau zu erklären. Für Ausländer die ideale Gelegenheit, Spanisch zu lernen.
Obwohl sich die Stadt im Zentrum angenehm europäisch gibt, ist die Armut allgegenwärtig. Die letzten vier Jahre mochten Argentinien verändert haben. Wir waren doch erstaunt, als uns ein als Geschäftsmann gekleideter Mann ein paar Erdnüsse für einen halben Peso verkaufen wollte. Zu Beginn dachten wir, dass es sich eher um eine Ausnahme handelte und der Mann einfach eine milde Gabe von einem Kleidergeschäft erhalten hat. Als sich diese skurrilen Verkaufsangebote häuften, bemerkten wir, dass der ehemalige Reichtum dieser Stadt langsam abbröckelt. Die schönen und edlen Klamotten, die viele Damen und Herren tragen, stammen wohl noch aus einer Zeit, als es Argentinien noch besser ging - und das ist noch nicht so lange her. Argentinien befindet seit 2001 definitiv in einer Wirtschaftskrise. Das ehemals reichste Land Südamerikas ist über Nacht arm geworden. Der Peso verlor an jenem Tag das nahezu Vierfache an Wert. Obwohl es seit 2003 mit Nestor Kirchner als Präsident mit der Wirtschaft ein wenig bergauf geht (es gibt auch Leute, die das Gegenteil behaupten), liegt die Armutsrate immer noch bei 40%. Von der Arbeitslosenkasse bekommt ein Argentinier im Monat 150 Pesos. In Buenos Aires liegt der Wert für das Existenzminimum bei 360 Pesos.
Die Unterbeschäftigung hier ist sehr gross - viele Leute haben nur einen Teilzeitjob oder auch nur ab und zu Arbeit. Geht man in ein Geschäft, sei es eine Bäckerei, Kleiderladen oder ein Supermarkt fallen einem die vielen Angestellten auf. Was bei uns eine Person erledigt, erledigen hier dann vier Personen - das soll aber nicht heissen, dass die Leute weniger arbeitsam sind. Alles dauert ein wenig länger, weil es durch mehrere Hände durchgereicht wird, dafür arbeiten die Menschen hier sehr sorgfältig. Wir haben auch ein paar Leute kennen gelernt, die 14 Stunden am Tag und sechs Tage in der Woche arbeiten, weil der Stundenverdienst so klein ist. Obwohl das Leben hier bestimmt nicht einfach und die Zukunft ungewiss ist, machten die Menschen, die wir kennen gelernt haben, einen glücklichen Eindruck auf uns. Hektik und Stress sind hier Fremdwörter - die Zeit zum Reden und einen Schluck Mate nehmen sich die Leute einfach, egal was kommt...
Während unseres Aufenthaltes in Buenos Aires hatten wir viel Gelegenheit, die Stadt und ihre Quartiere zu erkundschaften. Die meiste Zeit verbrachten wir im Zentrum - in Congreso, San Nikolas und Palermo. Buenos Aires hat sehr viele schöne Ort zum Flanieren, wie z.B. die Calle Lavalle und Florida – welche ausschliesslich für Fussgänger gedacht sind, die Avenida de Corrientes oder die vielen Parks mit Seen und Gärten, z.B. der Parque 3 de Febrero am Rio de la Plata. Oft kam es vor, dass Menschen auf uns zu kamen und etwas über den Park, das Quartier oder das Leben hier erzählten, sobald sie uns als Touristen entlarvt haben. Und als Tourist fällt man einfach auf, sei es wegen der Frisur, den Farben der Klamotten oder der Sprache wegen – die ersten zwei aneinander hängende Wörter in Castellano genügen schon, um als Fremdling erkannt zu werden.
Die ganze Schönheit der Stadt sieht und spürt man besonders an den Sonntagen. In San Telmo und La Boca wird auf den Strassen Tango getanzt und die Zuschauer werden dazu animiert, ein paar Schritte dieses schwierigen Tanzes zu wagen. Die Strassen sind überhäuft von Menschen, Markständen und Künstlern, die ihre Darbietung zeigen. San Telmo ist auch bekannt als Mekka des Antiquitätenhandels. Hier gibt es einfach alles zu kaufen – aus vergangenen Tagen versteht sich. Fotoapparate, Uhren, Schmuck, Möbel, Briefmarken und Banknoten. Viele Banknoten stammen von Kuba, mit Che Guevara als Finanzminister vor 40 Jahren. Obwohl viele Argentinier nicht viel von Che Guevara halten wird mit seinem Namen paradoxerweise viel Geld gemacht. Hüte, Guerilla Klamotten, Kerzen, Uhren, Mategefässe und Geldbörsen – sein Gesicht und seinen Namen kann man auf fast jedem erdenklichen Gegenstand sehen. Ob das Che gefallen würde – wohl eher nicht…
Obwohl wir einen ganzen Monat in Buenos Aires verbracht haben, konnten wir «nur» ein paar Bezirke der Stadt kennen lernen. Ausserdem mussten wir die Zeit auch nutzen, um Versicherungen abzuschliessen und restliche Formalitäten zu erledigen. Die letzten anderthalb Wochen machten wir uns daran, unsere Fahrzeuge für die Losfahrt fertig vorzubereiten. Die Befestigungsschiene des Dachträgers von Gaucho musste geflext werden. Pajarito fehlte noch ein Trinkwassertank und die Leitern der beiden Dachzelte mussten auch noch angepasst werden. Vieles hätte auch zu Hause erledigt werden können, aber leider fehlte uns am Schluss einfach die Zeit dafür.
Anita und Roger haben von ihrer Spanischlehrerin Betty die Adresse von einem Freund in Buenos Aires erhalten. Also machten wir uns auf den Weg, ihm einen Besuch abzustatten. Sein Name war José und er arbeitete in einem Reiseunternehmen unweit von unserem Apartment. Als wir ihn während der Arbeit aufsuchten, wurden wir von ihm herzlich empfangen. Wir schilderten José unser Anliegen und ein paar Mediahoras* später, sprang er schon ans Telefon und rief verschiedene Leute an, die für unsere Art Probleme in Frage kommen würden. Am nächsten Tag erhielten wir von ihm eine Adresse eines Deutschsprachigen im Aussenbezirk Lanus, der dort eine Tornería (Drechslerei) betrieb.
Dieser «Deutschsprachige» hiess Carlos und er lebte schon seit über fünfzig Jahren mit seiner Frau Martha in Lanus. Ihr Sohn Willy wohnte noch – richtigerweise wieder - bei ihnen zu Hause und ihre Tochter Ursula und Schwiegersohn Alejandro hatten ein Haus gleich nebenan. Der Empfang war überaus herzlich – wir wussten schon in kürzester Zeit, dass wir bei ihnen gut aufgehoben waren. Wir erklärten ihnen, was wir brauchten und kurz darauf sassen wir schon in einem ihrer Fahrzeuge und kurvten in Lanus herum, um Teile zu besorgen. Obwohl Lanus nicht gerade klein ist, kam es uns vor, als würden wir uns in einem Dorf befinden. Hier kannte jeder jeden und jedes Haus verbarg irgendeine Geschichte. Wir waren erstaunt, wie viel Deutsche in dieser Umgebung wohnten. Ebenso beeindruckt waren wir, wie die Menschen hier das Deutsche aufrecht hielten. Die Kinder werden in das Colegio Aleman (Deutsche Privatschule) geschickt, viele Leute reden deutsch, obwohl sie nur kurze Zeit ihres Lebens in Deutschland gelebt haben. Viele Häuser weisen auf die europäische Herkunft ihrer Besitzer hin. Sie sind sehr gepflegt und mit viel Detailliebe gebaut.
Obwohl die Teilebeschaffung hier nicht so einfach verläuft, kamen wir ziemlich schnell voran. In nur einem Tag konnten wir alle unsere Dinge erledigen. Am Abend waren wir total glücklich, endlich startklar zu sein und natürlich so nette Menschen kennen gelernt zu haben. Als wir uns verabschieden wollten, wurden wir von Alejandro und Ursula spontan zu einem Asado** am Wochenende eingeladen. Wir alle waren gespannt, was uns bei diesem Asado erwarten würde. Wir haben schon vieles darüber gehört und auch gelesen, doch das Ausmass an Fleisch hat uns doch umgehauen. Blutwürste, Bockwürste und Wurstringe, Nierchen, Darm, Siedfleisch, Rippchen, Vacio und Hühnchen – die Menge machte einem schon fast Angst. Wir Europäer können mit soviel Fleisch gar nicht umgehen. Wir Schweizer sind ja schon stolz wenn wir zwei Cervelats und ein Holzfällersteak auf dem Campinggaz Grill bräteln dürfen… Bei den Argentiniern sind Innereien wie Nieren und Darm Delikatessen, die von uns begehrten Lebern aber eher Abfall. Es gab noch einiges zu lernen…
Der Abend verlief heiter. Es gab vieles zu erzählen und für uns war das eine gute Gelegenheit, etwas über Land und Leute zu erfahren. Da unsere Gastgeber ihr Land selber schon oft bereist haben, konnten wir von ihren Kenntnissen nur profitieren. Schon bald breiteten wir die Strassenkarte von Argentinien auf dem Tisch aus und besprachen unsere Route. Ein Tipp folgte dem Nächsten und für uns war klar, wohin uns unsere Reise führen würde.
Als wir uns verabschiedeten, fragte uns Alejandro ob wir Lust hätten mit ihm Buenos Aires in einer Art Sight Seeing zu besichtigen. Er kenne sich in der Stadt sehr gut aus, da er oft Kunden besuche und somit in vielen Vierteln herumfahre. Dieses Angebot liessen wir uns natürlich nicht entgehen – vor allem trennte uns nur noch ein Tag von der Losfahrt. Am anderen Tag wurden wir von den beiden Familien in unserem Apartment abgeholt und wir kurvten durch Buenos Aires von einer Sehenswürdigkeit zur anderen. Zum Schluss wurden wir von ihnen in ein Restaurant am Ufer des Rio de la Plata auf ein Bier eingeladen. Diesen Teil der Stadt haben wir während unserer Zeit in Buenos Aires nie bereist und wir mussten feststellen, dass es noch vieles zu sehen gab.
Der Abschied von unseren neu gewonnen Freunden tat schon weh und wir hoffen, dass wir sie wieder einmal treffen werden. Sei es in Argentinien oder in der Schweiz. Unser letzter Abend in der Stadt hätte schöner nicht sein können.
* Mediahoras (Dt.: Halbe Stunden) nennen die Argentinier die leckeren Bonbons, die während den Pausen genascht werden.
** Asado ist ein Grillfest mit vielen verschieden Fleischarten und Innereien (Rinds-, Kalbs- und Geflügelfleisch)