Highlights: San Martin de los Andes, San Carlos de Bariloche, El Bolson, Neuquen, Puerto Madryn, Rawson
Andrea schreibt:
Die Gastfreundschaft von Beto und seiner Familie hat uns eine tolle Woche beschert. Nachdem wir so viele wundervolle Leute kennen gelernt haben, zieht es uns nun doch weiter, sonst bleiben wir am Ende noch hier hängen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschieden wir uns vom Camping Kallue, doch nicht auf Nimmerwiedersehen. Im Februar besuchen wir euch noch mal, ganz bestimmt!
Doch unserer Weiterreise steht noch etwas im Wege. Wir haben vor längerer Zeit bei Amazon verschiedene Bücher bestellt, die leider immer noch auf sich warten lassen. Der DHL-Typ fertigt uns aber mal wieder mit einem –Talvez mañana- (vielleicht morgen) ab, wir denken –Mist!- und entschliessen uns kurzerhand zu einer mehrtägigen Rundreise durch die Provinz Mendoza, bis die Pakete ankommen.
Wir verbringen ein paar wunderschöne Tage bei sonnigem Wetter in der Umgebung Mendoza. Das Auge wird immer wieder auf’s Neue herausgefordert. Das satte Grün der Felder und der tiefblaue Himmel, dazu die verschneiten Andengipfel, eine Kulisse wie im Bilderbuch. Eines Morgens werden wir von seltsamen Geräuschen aus dem Schlaf gerissen. Wir rätseln und versuchen die verwischten Spuren zu lesen. War das etwa ein Puma?
Zurück in Mendoza, immer wieder die alte Leier. –Quien sabe, talvez mañana.- Amazon hat etwa die gleichen Kommentare für uns, und langsam geht uns ein Licht auf, dass hier etwas nicht stimmen kann. Jetzt haben wir doch schon so lange gewartet, da kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht an. Wer hätte geahnt, dass alles Warten hier nichts mehr bringt und wir deswegen die Wale auf der Peninsula Valdés verpassen?
Wir planen weiterzufahren, und so führt uns unser Weg nach San Rafael. Wir verstehen nicht, wie so eine tolle Landschaft in unserem Reiseführer überhaupt nicht erwähnt sein kann. Auf dem Stausee Agua del Toro lässt die Sonne die ganze Wasseroberfläche glitzern. Hierher scheint sich kein Tourist zu verirren, die sind nämlich alle ein paar Kilometer weiter am Stausee Valle Grande, beim River Raften, wo wir dann auch Anitas Geburtstag feiern. Mhhh, endlich gibt’s wieder mal Torte!
Am Tag zuvor finden Martin und ich ein wunderschönes Plätzchen abseits des Touristenstroms hoch oben über dem Stausee Nihuil. Nach dem Abendessen wissen wir kaum, in welche Richtung wir unsere Stühle stellen sollen, denn die Sonne verabschiedet sich mit tiefem Rot und gleichzeitig taucht der silberne Mond hinter dem Canyon auf. Weit entfernt beobachten wir ein Gewitter. Und wieder einmal staunen wir ehrfürchtig über das, was uns die Natur täglich bietet. Wer braucht da noch einen Fernseher?
Martin schreibt:
Auf dem Campingplatz nahe des Stausees Valle Grande treffen wir uns tags darauf mit Anita und Roger wieder. Heute ist der 16. November, und wir möchten Anitas Geburtstag feiern. Für diesen Anlass haben Andrea und ich uns ein etwas besonderes Geschenk einfallen lassen. Obwohl hier in Argentinien von Adventszeit und Weihnachtsstimmung noch weit und breit keine Spur ist (auch später nicht), wollen wir uns und vor allem Anita ein wenig auf die besinnliche Zeit einstimmen. Wir haben uns deshalb entschlossen, ihr einen kleinen Weihnachtsbaum zu schenken. Ihre Freude ist gross, als wir das unhandliche Ding aus unserer Dachkiste heraushieven. Geschmückt mit roten Kugeln, goldigen Glöckchen und selbst gebastelten Aufhängern übergeben wir ihr unser Regalo. Ab und zu vermisst jeder von uns ein wenig Heimat…
Als wir die Torte zuschneiden schleicht sich ein Schäfer heran. Der Hund möchte was von dem Süssen abkriegen. Die ganze Torte ist mit Dulce de Leche gefüllt und unsere Mägen scheinen nach nur wenigen Bissen explodieren zu wollen. Eine Süssigkeit in Argentinien zu verdrücken bedeutet immer übermässige Reduktion des Zahnschmelzes und enorme Zunahme von Körpermasse.
Wir haben Mitleid und beginnen, das gierige Tier zu füttern. Nach ein paar Happen wird ihm aber auch komisch… anscheinend verhält sich der Verzehr dieser Torte bei Tieren gleich wie bei Menschen. Der Hund röchelt, scheint keine Luft zu kriegen. Haben wir ihn jetzt überfüttert? Da war doch keine Schokolade drin? Das Hündchen rennt benommen zum nahe liegenden Abwasserkanal um Wasser zu saufen. Wir denken nichts weiter dabei und hoffen, dass er sich wieder „neutralisieren“ kann. Nach ein paar Minuten hören wir aus dem Abwasserkanal ein Wimmern und Johlen… Wir springen sofort auf und sehen nach – der arme Tropf ist in den anderthalb Meter tiefen Kanal gefallen und versucht gegen die Strömung anzukämpfen. Ohne zu denken springe ich mitsamt Klamotten in die übel riechende Erfrischung und wir holen das Tier da raus. Der Hund schüttelt sich zum Dank vor uns allen aus und hüpft vor lauter Freude wie ein Reh auf und ab… es scheint, als wüsste er, dass er fast ins Gras gebissen hätte. Wir sind froh, dass alles wieder gut ist…
Am anderen Tag fahren wir nach San Rafael. Mittlerweile haben wir endlich die DHL Paket Codes erhalten und wir sind zuversichtlich, dass wir endlich einmal erfahren, wo die bestellten Bücher abgeblieben sind. Gemäss Broschüre der DHL in Mendoza soll es eine Sucursal (Filiale) in San Rafael geben. Wir fahren da hin, doch leider gibt’s die Filiale nicht mehr. Der Angestellte von Mendoza antwortet nicht auf unsere Anrufe und Emails schreiben tut er anscheinend auch nicht. Ab und zu fragen wir uns, was der Typ überhaupt macht… arbeiten kann’s nicht sein. Völlig aufgelöst und enttäuscht müssen wir feststellen, dass wir uns wieder einmal auf niemanden verlassen können.
Wir fahren die 300 Kilometer wieder nach Mendoza zurück und finden den Angestellten, auf seinem Bürostuhl herum hockend vor. Auf die Frage, wieso er denn nicht auf unsere Emails geantwortet habe, bekommen wir keine Antwort. Die Bücher jedenfalls, sind immer noch nicht da. Uns reicht es jetzt, Amazon soll seine Bücher behalten. Wir entscheiden uns für die Weiterfahrt.
Wir vergessen das Ganze und konzentrieren uns auf unsere Route. Immer mehr tut sich in uns eine Freude breit: Wir fahren nach Patagonien! Oder wie viele sagen - das wahre Argentinien. Das Land des ewigen Windes, in dem auf einem Quadratkilometer nur ein paar Menschen wohnen. Ein Land, dessen karge Landschaft keine Rinderzucht zulässt und in dem nur die stärksten und widerstandsfähigsten Tiere eine Chance haben, zu überleben. Das Land der Guanacos, ñandus, Schafe und Pinguine und das Land der endlosen Einöde. Der Wind bläst über tausende Kilometer durchs weite Land und keine Erhöhung vermag ihm etwas von seiner Kraft zu nehmen.
Wir verlassen die Provinz Mendoza und passieren die Grenze nach Neuquen. Mit dem Uebertritt nach Nequen haben wir zugleich auch die erste Provinz Patagoniens betreten. Nur wenige Kilometer nach der Grenze können wir es kaum fassen: Der Wind drückt sich so stark gegen die Karosserie unseres Land Rovers, dass wir teilweise fast stillstehen. Dass es in Patagonien windig ist war uns schon klar, aber an der Küste und nicht in den Kordilleren? Wir müssen anhalten, und die Blache von Pajarito mit Spanngurten befestigen… sonst würde sie einfach weggerissen werden. Unser Motor röhrt vor sich hin, es kommt uns vor, als könne man die Anzahl Liter Benzin, die unser V8 zum Ueberleben braucht, im Minutentakt abzählen. Ein bisschen mehr Aerodynamik würde hier wohl Wunder vollbringen…
Bald treffen wir auf Malargüe und somit auch wieder auf eine Inlandkontrolle der Policia. Der Chef zeigt sich ziemlich unzufrieden mit unseren Passkopien – er will die Originale sehen. Wir bringen wieder einmal die Geschichte mit unserem Appartement in Buenos Aires, wo wir alle Originalpapiere hinterlegt haben sollen. Doch das gefällt ihm nicht. Er möchte den Einreisestempel sehen. Wir machen auf stur, verklickern ihm, dass wir Angst hätten, dass unsere Dokumente gestohlen werden können und sie deshalb nicht mitnehmen. Als wir alle vier dann auf den armen Kerl dreinreden, gibt er sich geschlagen und wie ein Wunder ist dann alles in Ordnung und wir können weiterfahren. Wir sollen aber gefasst sein, meint er, weiter im Süden werden wir Probleme bekommen. Wenn’s weiter nichts ist…
Andrea schreibt:
Wir schnetzeln ziemlich Kilometer, denn Mendoza hat uns so lange aufgehalten, dass es uns richtig juckt, wieder Neues zu entdecken. Spät abends treffen wir auf Junin de los Andes, und weil es schon lange dunkel ist, schlagen wir unser Nachtlager vor dem Stadteingang an der Petrobras-Tankstelle auf. Die Landschaft, die nun vor uns liegt, weckt in uns leise Nostalgie. Wir befinden uns mitten im schönen Andengebiet, es sieht hier wirklich fast aus, wie in der Schweiz. Heute fahren wir nach San Martin de los Andes. Dieses Städtchen ist von Kopf bis Fuss auf Tourismus eingestellt. Das müssen wir dann auch schmerzlich am eigenen Leib erfahren.
Als Martin und ich uns in einem kitschig-kuscheligen Cafe aufwärmen, beobachten wir einen Polizisten, wie er interessiert und natürlich mit bösen Absichten unseren Pajarito beäugt. Kurz darauf erkundigt er sich bei unserer Bedienung, wem der Landy gehört. Zu unserem Glück hat die keine Ahnung, dass wir die (in seinen Augen) reichen Touristen sind, die der Stadtbuchhaltung einen kleinen Zustupf geben sollen.
Wir denken, jetzt nur keinen Fehler machen und flüchten, solange es noch geht. Wir wollen gerade zahlen, da kommt Roger ins Cafe und möchte über unseren kleinen Streit, den wir vorher hatten, diskutieren. Derweil hat der fleissige ñoquis (so nennen sie hier die Polizisten) längst Verstärkung gerufen. Anita eilt aufgelöst ins Cafe und fordert uns zum Umparkieren auf. Sie wurde in der Zwischenzeit draussen mit Fragen bombardiert und gezwungen, uns zu rufen.
Was jetzt? Das wird teuer, soviel ist sicher. Anita und Roger haben vielleicht noch Glück, denn Anita ist ja im Auto geblieben. Ihnen kann die Polizei nichts anhängen. Bei uns sieht die Sache ganz anders aus, vor allem, weil wir uns vorhin dumm gestellt haben, und dem fleissigen ñoquis nicht verraten haben, dass wir seine verhoffte Geldquelle sind.
Ab durch die Mitte! Martin und ich verstecken uns und beobachten die ganze Geschichte aus sicherem Abstand. Die Verhandlungen scheinen endlos zu verlaufen. Immer mehr Polizisten versammeln sich um unsere Autos. Und das, obwohl wir noch nicht mal wirklich im Parkverbot standen! Das einheimische Auto direkt vor uns wird ignoriert, der steht nicht im Parkverbot? Endlich löst sich der Trubel. Anita und Roger scheinen mit einem gelben Zettel davongekommen zu sein. Wir hoffen, sie müssen nicht zahlen. Eine weitere halbe Stunde vergeht, dann endlich ist der passende Moment da. Martin rennt zum Auto, steigt ein, Zündung und nichtswieweg! Wir haben uns im nahe gelegenen Park verabredet. Es scheint geklappt zu haben. Jetzt nur noch raus aus der Stadt!
In dem ganzen Trubel konnten wir unseren kleinen Streit mit Anita und Roger nicht beilegen. Wir haben auch keine Ahnung, wo die Beiden jetzt sind, und zurück nach San Martin de los Andes bringen uns keine zehn Pferde mehr. Wir entscheiden uns, weiterzufahren und ein schönes Plätzchen zu suchen. Aber, brrrrr, hier wird’s ja gehörig kalt. Je weiter wir die Passstrasse entlang fahren, desto eher merken wir, dass es heute Nacht ohne Bettflasche ziemlich kalt werden würde. Jetzt fängt es sogar an zu schneien. Martin wird das zu viel für einen Tag. Die nächsten 15 Kilometer schnappt er kaum noch nach Luft zwischen seinen Kraftausdrücken. Ich denke nur, hätte ich doch das Diktiergerät dabei, um ihm später zu zeigen, worüber er sich alles aufregen kann.
Mitten im Meckern rufe ich: Hier, ich habe das perfekte Plätzchen gefunden! Es ist wirklich wunderschön, direkt an einem See gelegen, schön windgeschützt und von der Strasse nicht zu sehen. Wir verbringen zwei Tage hier, lesen uns ganze Bücher vor und frieren ohne Pause. Wir stellen uns ans verschneite Ufer, um zu fischen. Aber auch den Fischen scheint es heute zu kalt zu sein. Na ja, dann essen wir eben unser Gemüse.
Die Strasse, die wir heute fahren, nennt sich La Ruta De Los Siete Lagos (Die Strasse der sieben Seen). In Wirklichkeit führt die zum Teil sehr schlechte Strasse an mehr als sieben Seen vorbei, der Anblick ist einfach atemberaubend. Wir wären wirklich gerne länger an diesem schönen Ort geblieben, doch es ist uns einfach zu kalt. Kurz vor Bariloche, der Schokoladen-Vorzeigestadt verbringen wir noch eine Nacht am Lago Nahuel Huapi, inmitten gelber Frühlingsblüten. Aber wirklich wärmer ist es leider auch nicht geworden.
Bariloche an sich erfüllt keine unserer Erwartungen. Es ist eine grosse Stadt, mit Elendsvierteln und einem grossen Industriebereich. Nichts von dem gemütlichen Schwizerdörfli, das uns in allen Farben beschrieben wurde. Im Stadtzentrum, so ähnlich wie der Zytgloggeplatz in Bern, kann man sich für zehn Pesos mit einem Berner Sennenhund fotografieren lassen. Ansonsten wimmelt es hier nur so von Amis. Wo’s uns nicht gefällt, bleiben wir nicht, also ziehen wir weiter Richtung Süden.
Unser nächstes Ziel ist El Bolson. Als kleine Hippiekommune wurde der Ort in den 60ern mitten im Wald gegründet. Die meisten Einwohner sind intellektuelle Porteños (Leute aus Buenos Aires), denen es in der Hauptstadt einfach zu laut und anonym wurde. El Bolson geniesst zwar einen etwas zweifelhaften Ruf, weil hier im Jahre 1998 das Hanta-Virus ausgebrochen ist. Die Ansteckungsgefahr drohe deshalb noch in ungelüfteten, alten Räumen. Gut, dass wir ein eigenes zu Hause haben. Uns aber gefällt es auf Anhieb hier, die Leute pflegen ihre Gärten und leben in Ruhe vor sich hin.
Wir brauchen mal wieder eine Dusche und Strom. Also suchen wir einen Campingplatz. Das scheint hier ganz einfach zu sein, denn schon am Stadteingang entdecken wir einige. Wir halten an einem schönen Camping, um uns dort einzurichten. Leider haben fast alle Plätze noch zu, wie uns der sehr freundliche Besitzer sagt. Er scheint auch zu den Gründern des Ortes zu gehören und sich der zivilisierten Welt völlig entzogen zu haben.
Irgendwann finden wir dann endlich etwas. Ein wirklich schönes Plätzchen. Heute gehen wir mal wieder aus. Leider merken wir schnell, dass wir um zehn Uhr im Pub die Ersten sind. Na ja, das war ja auch ein langer Tag, den wir beim einheimischen Bier (El Bolson) gemütlich zu Ende gehen lassen.
Vor uns liegt nun der lange Weg quer durch den Kontinenten ans Ufer des Atlantiks. Dort wollen wir zur Peninsula Valdés. Die Strasse quer durch Argentinien soll einwandfrei und in einem Tag zu schaffen sein. Von Anita und Roger haben wir noch nichts gehört. Also entscheiden wir uns zur Weiterfahrt und hinterlassen ihnen eine Nachricht. Wer hätte gedacht, dass sie gleich einen Tag später auf dem gleichen Camping Halt machen…
Wir fahren bei Esquel vorbei und suchen ein schönes Plätzchen. Es soll schon etwas Spezielles sein, denn heute ist unser achtjähriges Jubiläum. Wir haben uns extra in Unkosten gestürzt und unseren Lieblingswein gekauft. Während ich koche überträgt Martin noch die GPS-Daten auf den Laptop und ruft ganz aufgelöst: Heute ist erst der 27. November! Wir feiern einen Tag zu früh!
Das kann doch nicht sein. Wie wir’s drehen und wenden, irgendwo fehlt uns einfach ein Tag. Wir sind wirklich entspannt, dass wir nicht mal mehr wissen, wann unser Jubiläum zu feiern ist. Na ja, nicht so schlimm. Dann feiern wir eben zweimal, sagt Martin und köpft die teure Flichman Flasche.
Martin schreibt:
Wir sind heute ausnahmsweise einmal früh aufgestanden, damit wir die knapp 600 Kilometer bis nach Rawson in einem Tag packen können. Um Punkt 11.15 Uhr sind wir startklar und machen uns auf den Weg. Die Strasse ist ausgezeichnet und wir haben starken Rückenwind. Der erste Teil der Strecke durchquert eine hügelige Landschaft. Ab und zu fängt es an zu regnen. Umso weiter wir ins Inland vordringen, umso weniger ist von den Gewitterwolken zu sehen. Schon bald verlässt uns die hügelige Szenerie und wir tauchen in eine wunderschöne Canyon Landschaft ein. Überall bizarre Felsformationen, die Farben wechseln sich ab, zwischen grau zu braun, leicht ocker und dann rot. Die Route führt oft nur wenige Meter an den Rändern der riesigen, und Millionen Jahren alten Schluchten vorbei. Der Canyon ist teilweise zwei, drei Kilometer breit und durch die Mitte fliesst der Rio Chubut. An den Stellen, wo der Fluss den Boden berührt, grünt es und in Ufernähe stehen viele tiefgrüne Nadelholz Wälder. Am Uferrand kann man Pferde beim trinken beobachten.
Wir würden gerne öfters anhalten, um die Bilder mit unserer Kamera festzuhalten. Doch unseren Zeitplan möchten wir einhalten. Die Wartezeit in Mendoza müssen wir jetzt mit Fahren kompensieren, sind wir doch schon ziemlich spät dran, um die Wale auf der Península Valdés zu beobachten.
Spät abends kommen wir in der Hafenstadt Rawson an. Wir haben auf unserem GPS einen Weg zu einem Strand gefunden und möchten nun nach langer Zeit wieder den Atlantik sehen. Eine Schotter- und Sandpiste führt uns aus dem Industriegebiet in Meeresnähe. Die Sonne versinkt bereits am Horizont, als wir nicht weit vor uns ein Glitzern wahrnehmen. Endlich, wir sind am Meer angekommen. Eine halbe Stunde später finden wir einen kleinen unscheinbaren Weg, der von der Sandpiste abführt. Wir folgen ihm und erhoffen uns viel: der Weg führt direkt an den Rand einer Klippe. Umgeben von Sanddünen und Grasbüscheln schlagen wir unser Zelt auf. Wir erleben noch die Ebbe und kurze Zeit später verdunkelt sich der Himmel endgültig. Unser – offizieller – Jubiläumstag findet sein Ende. Vom langen Fahren und von den vielen Bildern, die wir heute gesehen haben, fallen wir todmüde in unser Dachzelt. Gut, haben wir unseren Flichman Tropfen schon gestern zu uns genommen…
Die nächsten Tage bleiben wir an diesem wunderbaren Ort. Zweimal am Tag beobachten wir Ebbe und Flut. Bald bemerken wir, dass an der Felswand ein Seil festgemacht ist. Wir finden somit einen Weg, die 20 Meter steile Klippenwand hinunter. Nichts für Leute mit Höhenangst! Die Anstrengungen machen sich aber bezahlt. Bei Ebbe kann man fast 100 Meter weit über die Riffe ins Meer laufen. Hunderttausende Krebse krabbeln von einem Wasserloch ins andere. Es scheint, als würde sich der ganze Boden bewegen. Fische sind von kleinen Höhlen eingeschlossen und warten, wie wir auf den Bus, bis die Flut wieder kommt.
Die Zeit vergeht und wir möchten uns wieder mit Anita und Roger treffen. Das letzte Mal haben wir sie in San Martin gesehen. Wir entscheiden uns zur Weiterfahrt nach Puerto Madryn, weiter im Norden. Dort soll es eine Ruta Costenera geben, also eine Strasse, die dem Meer entlang führe. Die Strasse führe schlussendlich zur Peninsula Valdés. Wir fahren also dahin. Auf dem Weg sehen wir tote Wale an den Stränden. Es handelt sich hierbei um die Ballenas Francas, Bartenwale mit einer Länge von 15 Metern! Die riesigen Tiere liegen einfach so da, inmitten des Badestrands. Wir können uns gut vorstellen, dass die „Entsorgung“ der gestrandeten Säugetiere der Stadt zuviel Geld kostet. Es wird wohl Wochen in der Sonne dauern, bis von den Kadavern nur noch ein paar grosse Knochen übrig bleiben.
Weiter nördlich finden wir einen Aussichtspunkt vor. Voller Hoffnung machen wir uns auf und versuchen, irgendwelche Fontänen in Ufernähe ausfindig zu machen. Doch da ist nichts zu sehen. Die Wale sind wohl alle in Valdés, denken wir uns. Als wir so durch die Sträucher und den Sand gehen, bleiben Andrea und ich wie versteinert stehen. Eine beinahe zwei Meter lange, dunkelbraun bis schwarz gefärbte Schlange kriecht vor unserer Nase durch den warmen Sand. Sie ist schnell, doch immer noch zu langsam für unsere Kamera… Wir versprechen uns, in Zukunft ein wenig vorsichtiger durch die Büsche zu treten. Oft vergisst man, dass man in Südamerika ist und nicht in den Schweizer Alpen.
Wir fahren weiter nordwärts und sehen vor uns einen weiten Kiesstrand. Auch sehen wir, wie einige Reisende sich dieses Plätzchen zum Verweilen ausgesucht haben. Unter den Reisenden: ein dunkelblauer Land Rover mit Dachzelt. Andrea und ich sehen uns an und ohne Worte wissen wir, das müssen Schweizer sein. Natürlich fahren wir hin, wir wollen ja wissen, was für Leute mit so einem Gefährt unterwegs sind. Aus dem Landy steigt Daniel aus Solothurn. Er ist mit seiner Frau Andrea und dem kleinen, gerade mal acht Monate alten Kylian, seit zweieinhalb Jahren unterwegs in den Amerikas. Mitten im Gespräch begrüssen uns Urs und Romana aus Zürich. Sie sind ebenfalls schon solange unterwegs, in einem Mercedes Bus. Wir wollten eigentlich nur mal kurz vorbeischauen, doch als dann Anita und Roger im Gaucho eine Stunde später zufahren, entschliessen wir uns zu einem spontanen Schwizer Campground.
Erfreut von dem Wiedersehen mit unserer zweiten Teamhälfte und dem Kennenlernen netter Landsleute bleiben wir die nächsten Tage an diesem Ort. Als wir uns nach vier Tagen aufmachen wollen, teilt uns Daniel mit, dass wir unbedingt noch bleiben müssen. Schliesslich hätte er dem örtlichen Land Rover Club Chef mitgeteilt, dass eine Schwyzer Landy Treffen im Gange sein. Eine Stunde später trifft Jorge mit seiner Frau und seinem in Camel Trophy Farben lackierten Land Rover ein. Begeistert von unseren Vehikeln, lädt er uns spontan zu einem Barbecue am nächsten Tag ein. Wer kann da noch nein sagen?
Am nächsten Tag am Mittag ist es dann soweit. Mit insgesamt 12 Personen wird gekocht, diskutiert und Siesta gehalten. Jorge legt 12 Koteletts auf und bereitet uns ein Asado nach Patagonia Art zu. Viel Gemüse und Sosse sorgen für einen unvergleichlichen Geschmack. Wir können fast nicht genug kriegen. Sogar Anita, unsere Grünfutter Vertilgerin, läuft das Wasser im Mund zusammen. Es wird viel diskutiert und ein Fotoalbum nach dem andern durchläuft die Runde. Jorge erzählt Geschichten und von der Camel Trophy, wo er einmal in der Jury mitgewirkt hat. Der Nachmittag verläuft fröhlich und wieder einmal sind wir von der Gastfreundschaft und Spontaneität der Argentinier begeistert.
Die nächsten Tage treffen wir noch oftmals auf Jorge und seine Familie und wir werden von ihm auch nach Hause eingeladen. Es kommt so wie es kommen musste: Nach anderthalb Wochen beschliessen wir die Peninsula Valdés auszulassen, weil sowieso schon alle Wale weg sind. Was haben wir verpasst? Eigentlich nichts, denn was gibt es schöneres, als nette und liebenswerte Menschen kennen zu lernen?