Highlights: Trans Chaco, Rosaleda, Mariscal, Filadelfia, Asuncion, Ciudad del Este
Martin schreibt:
Die zwei Tage Ausruhen nach dem Minenbesuch in Potosí haben uns gut getan. Heute ist Sonntag und wir wollen einen der berühmten Märkte Boliviens besuchen. In Tarabuco, ein Dorf 70 Kilometer entfernt von der bolivianischen Hauptstadt Sucre, möchten wir ein wenig shoppen gehen. Um nach Tarabuco zu gelangen, muss man Sucre durchfahren, was und aber nicht allzu sehr stört. Die Hauptstadt Boliviens ist ziemlich übersichtlich und das Strassennetz mit den vielen Ampeln eher europäisch.
Auf dem Weg erreichen wir wieder einmal eine der vielen Wegezoll Sperren. Als wir aus dem Fahrzeug aussteigen geschieht das Unglück. Unsere Kamera verheddert sich am Sicherheitsgurt und fällt auf einmal auf den harten Asphaltboden. Alles aus. Der Plasmabildschirm zeigt nur noch ein paar Flecken an, die Software funktioniert nicht mehr. Die teure Kamera ist hin und wir befinden uns in Bolivien, einem Land, in dem man froh ist, wenn man irgendwo Milch bekommt.
Unsere Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Wir grübeln ein wenig nach, was wir nun tun können. Argentinien und Chile haben wir nun definitiv hinter uns gelassen, zurückfahren möchten wir nicht. In Brasilien trifft man im Südwesten nur auf die Sumpflandschaft Pantanal, dort werden wir wohl auch keine neue Kamera bekommen. La Paz, ganz im Westen des Landes, liegt überhaupt nicht auf unserer Route. Die einzige Lösung, die Sinn ergeben würde, ist: Paraguay. Um genau zu sein: Ciudad del Este. Dort bekommt man schlichtweg alles, was neu und halbwegs legal ist und vor allem kommt man nirgendwo günstiger davon.
Mir kommt die Idee sehr gelegen, denn schon zu Beginn unserer Reise wollte ich durch den schwer durchdringbaren Norden Paraguays, um uns auf unser Offroad-Abenteuer Transamazonica vorzubereiten. Der Norden Paraguays ist weitgehend unbewohnt, es gibt keine asphaltierten Strassen und in der Regenzeit sind viele Verkehrsverbindungen unpassierbar. Paraguay könnte in unsere Route zum Pantanal einbezogen werden. In mir tut sich Freude auf, obwohl die ganze Geschichte einen etwas düsteren Beweggrund hat.
In Tarabuco kaufen wir ein paar Lebensmittel ein, der Markt, obwohl schön und bunt, macht auf uns einen nüchternen Eindruck. Im Zentrum tummeln sich Touristen, alle mit nagelneuen Digitalkameras bewaffnet und in den Hinterhöfen handeln die Einheimischen unter sich. Während Andrea sämtliche Einkäufe erledigt, warte ich im Auto – denn wo Touristen sind, sind Diebe nicht weit. Unsere Befürchtungen waren nicht unbegründet. Als Andrea zurückkehrt, erzählt sie mir, dass man ihr zweimal die Tasche geöffnet hätte. In diesem Durcheinander die Augen immer auf seine Tasche zu richten, ist beinahe unmöglich.
Wir verlassen die karge Altiplano Region (Hochland) und tauchen in die Yungas ab. Die Yungas sind heiss und feucht, mit tropischer Vegetation. Unser Ziel heisst Camiri, eine Stadt im Südosten Boliviens, von da aus führen verschiedene Strassen nach Paraguay. Im bolivianischen Tiefland empfängt uns eine komplett andere Welt. Die hier lebenden Menschen sind europäisch gekleidet, Frauen in Trachten bekommt man fast keine mehr zu Gesicht. Das Klima und die tropischen Temperaturen verändern auch den Lebensstil. Die Leute sind neugierig und aufgeschlossen, es wird mehr gelächelt.
Wir fahren durch kleine Dörfchen, überall auf der Strasse grunzen kleine Schweinchen herum, Hennen picken umher und Ziegen springen von der einen Strassenseite auf die andere ohne um sich zu schauen. Mir kommt es vor wie im Streichelzoo, jeder Quadratmeter beherbergt eine andere unberechenbare Haustierart. Die Fahrt geht dementsprechend langsam voran. Der Weg schlängelt sich über kleine Berge durch einen dichten Urwald, die feuerrote Erde ist teilweise ziemlich schlammig und erschwert das Fahren auf der kurvenreichen Strasse.
Die Tage sind kurz, um 6 Uhr wird’s schon dunkel. Haben wir um diese Zeit keinen Schlafplatz gefunden, müssen wir in der Nacht weiterfahren. Auf dem Erdweg kreuzen ab und zu Lastwagen, jedes Mal steht einem das Herz fast still, wenn sich auf der schmalen Schlammspur ein Viehtransporter vorbei drücken möchte.
An einem goldgelben Fluss finden wir dann einen Übernachtungsplatz, wir sind froh endlich ausruhen zu können. Am anderen Morgen entdecken wir einen kleinen Wasserfall mit einer tiefen Stelle. Der kühle Fluss lädt zum Baden ein. Wir waschen uns, sowie unsere Kleider, um uns schwirren grasgrüne Papageien und riesige Schmetterlinge schmiegen sich elegant durch die Lüfte.
Frisch gewaschen fahren wir in die nächste Ortschaft, es wird Zeit zu tanken. Leider ist das Tankstellennetz hier nicht so dicht, die einzige Zapfsäule weit und breit funktioniert seit ein paar Tagen nicht mehr. Macht nichts, wir suchen weiter. Mit der Zeit merken wir, dass die Leute hier in ihren Häusern Benzin verkaufen. Von COPEG oder TEXACO keine Spur, so tanken wir einmal anders. «30 Liter Bitte», und der Mann holt aus seinem Innenhof eine riesige Giesskanne und giesst unserem Auto den ersehnten Kraftstoff ein. Seine kleine Tochter, um die neun Jahre alt, berechnet den vereinbarten Literpreis und kassiert ein. Der Vater steht daneben und ist froh, dass seine Tochter im Matheunterricht besser aufgepasst hat, als er.
Wir passieren ein Dorf, an dessen Eingang ein Schild hängt: LEPRA und TOUBERKULOSE Station. Später im Dorf beobachten wir auch ein paar Leute, denen Gliedmassen fehlen. Was uns ebenfalls auffällt: Einige ältere Damen haben einen Kropf. Anscheinend sind hier die Hygiene- und Nahrungsumstände besorgniserregend und wir sind baff auf so etwas zu stossen. Vielleicht bietet sich uns ja noch irgendwann die Möglichkeit, so eine Station zu besuchen…
Andrea schreibt:
In Camiri erwartet uns ein kleines, hoffnungsvolles Stätdchen. Die Menschen wandern geschäftig durch die Gassen, überall gibt es Marktstände und kleine Garküchen. Wir entschliessen uns, hier ein paar Erledigungen zu machen, und verbringen den ganzen Tag im Ort. Anscheinend fallen wir den Leuten hier sehr schnell auf, alle fragen sie nach unserer Herkunft und freuen sich über unseren Besuch. Trotz der beschaulichen Grösse der Stadt, scheinen Touristen hier eine willkommene Rarität zu sein.
Im Internetcafe setzt sich ein kleiner achtjähriger Junge zu uns und fragt erst nach etwas zu Essen. Natürlich gibt ihm Martin etwas. Zum Dank weicht uns der Kleine den ganzen Tag keine Sekunde von der Seite. Er ist so fasziniert und bittet uns ständig, ihn auf unsere Reise mitzunehmen. Uns zerreist es fast das Herz, als wir erfahren, dass der Junge keine Eltern mehr hat und im örtlichen Krankenhaus lebt. Schon seit Langem muss er für seinen Unterhalt selbst sorgen, versucht beim Markttreiben einen kleinen Tagesjob zu bekommen, um wenigstens ein paar Batzen zu verdienen. Natürlich hat er längst auch gelernt, sich den Lebensunterhalt zu erstehlen, wie viele andere Kinder im Ort, die völlig auf sich allein gestellt sind. Er kann nicht verstehen, wie Menschen so reich sein können, wie wir es in seinen Augen sind und fragt, warum das so ist. Wir ringen um eine Erklärung, doch uns fällt nichts Gescheites ein. Wie sollen wir dem kleinen Erwachsenen bloss erklären, dass wir eben einfach Glück haben und er wohl nicht?
Spät abends verabschieden wir uns von unserer jungen Bekanntschaft und hoffen, er wird sein Leben lang ein so aufgeweckter und interessierter Mensch bleiben. Wir verlassen Camiri und suchen uns, leider schon wieder in der Dunkelheit einen Schlafplatz. Mal wieder staunen wir über Bolivien. Nach Camiri führte uns ein undurchdringlicher Dschungelpfad, weitab der menschlichen Zivilisation, jetzt fahren wir auf einer Asphaltstrasse, die in der Nacht wie eine Fluglandebahn leuchtet. So komfortabel sind wir schon lange nicht mehr von A nach B gekommen. Wer hätte das von Bolivien erwartet!
Am nächsten Morgen sind wir guter Dinge, haben wir doch heute geplant, über die Grenze nach Paraguay zu kommen. In Richtung Boyuibe, der letzten grösseren Siedlung vor der Grenze, wird uns zweimal bei einer Strassensperre abgeraten, den Weg zu fahren. Es hätte in den letzten Tagen geregnet, ein Durchkommen wäre hier also schwierig. Den Alternativweg direkt hinter Boyuibe sollen wir nur im äussersten Notfall nehmen. Ausserdem wäre er ohne gutes Kartenmaterial ohnehin kaum zu finden. Da sind wir froh, um unsere russischen Karten. Doch beim Eingang in die Schlammpiste kommen uns doch Zweifel, ob wir hier richtig sind, und so fragen wir einen Bolivianer, der in einem kleinen Hüttchen, am Strassenrand lebt. Der Camino sei feísimo (hässlichst), und ausserdem abandonado (verlassen), falls wir stecken bleiben, müssen wir uns selbst helfen. Hier kommt bestimmt niemand vorbei, der einem helfen könnte. Hier sollen wir auf keinen Fall durchfahren, und so schlägt er uns eine Alternativroute vor.
Na gut, der Mann lebt ja gleich hier, wir vertrauen seinen Worten und fahren den Umweg nach Villa Montes, weiter im Süden, entlang der paraguayischen Grenze. Hier soll die Hauptverbindungsstrecke nach Bolivien sein, doch diese zu finden, stellt sich trotz unserer Karten als gar nicht so einfach heraus. Wir schlängeln uns durch undurchdringliche Wälder, keine Menschenseele scheint diesen Weg in den letzten Wochen passiert zu haben. Die dichte Vegetation hat den Pfad wieder teilweise überwuchert und die um Licht ringenden Pflanzen über unseren Köpfen haben sich den Weg von der einen Strassenseite zur Anderen längst erkämpft, verwandeln die Strasse in einen grünen Tunnel. Mit Mühe quetschen wir uns durch das Gestrüpp, bis wir irgendwann einen kleinen Fluss finden, der den Weg abgeschnitten hat. Auf der anderen Seite scheint sich der Weg zu öffnen in eine grosse Strasse zu verlaufen. Unser Pajarito dümpelt durch das pechschwarze Wasser in der leisen Vorahnung, dass das nicht die letzte Planschfahrt war, für die nächsten Tage.
Wir folgen dem Lauf der Strasse, doch immer wieder stehen wir vor der Entscheidung. Nach Links, oder nach Rechts? Da hilft nur noch Münzenwerfen, doch irgendwie scheint uns unsere Intuition richtig geführt zu haben, und wir landen auf einer halbfertigen Strasse, die im Moment asphaltiert wird… das mitten im Dschungel. Wir überholen einen Einheimischen auf seinem Fahrrad und fragen nach dem Weg. In seinen Augen zeigt sich Erleichterung, denn sein Zu Hause ist in 30 Kilometern Entfernung und wir sind nur allzu froh, jemanden dabei zu haben, der sich in diesem Labyrinth auskennt. Kurzerhand schnallen wir das alte Fahrrad auf unser Dach und fahren mit dem neu gebackenen Fremdenführer in Richtung Staatsgrenze.
Todo recto (alles geradeaus) lautet die Anweisung, nachdem wir den Bolivianer und sein Fahrrad abgeladen haben. So sollen wir über Kurz oder Lang in Paraguay landen. Durch das interessante Gespräch mit dem Einheimischen haben wir beide es völlig verpasst, aus dem Fenster zu schauen. Mit einem Mal hat sich der feuchte, grüne und dichte Dschungel in eine lebensfeindliche, trockene, grüne Hölle verwandelt. So wird nämlich das Gebiet Chaco auch noch genannt, denn es blieb bis heute nahezu unbesiedelt. Zu schwer ist das Überleben in dieser trockenen Wildnis, in der nur die widerstandsfähigsten Tiere zurecht kommen.
Und von denen kriegen wir gleich Einige zu Gesicht. Mitten im Gespräch stockt uns beiden plötzlich der Atem. Direkt vor uns, auf der Staubpiste sonnt sich eine zweieinhalb Meter lange, blaugelb schimmernde Würgeschlange. Genauso wie wir, ist sie von der Begegnung geschockt und windet sich mit unglaublicher Kraft, springt förmlich von der Strasse und verschwindet ausser Sicht, ins Unterholz. In der nächsten Zeit werden wir also beim täglichen Geschäft im Busch lieber zweimal genau hinschauen…
Grüne Papageien düsen mit lautem Getöse über unsere Köpfe, zwei weitere Schlangen machen sich unbeeindruckt und gemächlich von der Strasse, als wir ihren Weg kreuzen. Vor uns liegt der grosse Militärstützpunkt Ibubu, wo wir unseren Ausreisestempel bekommen sollen. Wir registrieren uns beim Militärkommandanten, der uns fragt, ob wir drei Soldaten zum Infanterieposten an der Grenze mitnehmen könnten. Na gut, wir haben genug Benzin, da kommt es auf ein paar Kilo mehr oder weniger nicht an. Doch wer hätte gedacht, was so ein Soldat alles mit sich trägt. Schwere Holzkisten und Lebensmittelsäcke kommen aufs Dach. Rucksäcke und anderes Gepäck mit obendrauf. Die drei Soldaten quetschen sich in unser Auto und wir fahren zur Migracion, um die Pässe stempeln zu lassen.
Der Beamte empfängt uns mit offenen Armen, doch seine Nachricht stimmt uns weniger froh. Seit zwölf Tagen stehe hier der Verkehr total still. Weder ein Motorrad, noch irgendein anderes Fahrzeug sei durchgekommen, weder von der einen, noch der anderen Seite. Der Schlamm liegt metertief. Totale Funkstille. Er will uns nicht durchlassen und rät uns, den grossen Umweg über Argentinien zu machen, denn es sei keine Besserung in Sicht. Ich bin ziemlich eingeschüchtert und wir kehren ernüchtert zu den Soldaten zurück und verkünden die Botschaft. Doch in Martin ist die Abenteuerlust bei Weitem grösser, als in mir, und er versucht, mich umzustimmen. Wir diskutieren über das Für und Wider und schliesslich bin ich auch überzeugt, dass wir es trotz allem versuchen sollten. Wir haben schliesslich Zeit genug, Wasser und Lebensmittel reichen ebenfalls für einige Tage, also nehmen wir die Strasse trotz der vielen Vorwarnungen in Angriff. Widerwillig werden unsere Pässe ausgestempelt, und die Soldaten sind froh, doch noch eine Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben.
Um Sieben Uhr, natürlich ist es schon längst stockdunkel, erreichen wir einen Infanterieposten, die Versetzungsstelle der drei jungen Soldaten. Der Commandante des Zugs lädt uns ein, bei ihnen zu übernachten. Die Soldaten legen sich richtig ins Zeug und nach fünf Minuten haben wir ein eigenes Bad und sogar ein Zimmer zur Verfügung. Wir sind dem Commandante wirklich sehr dankbar, denn ab jetzt wird die Strecke nur noch schlimmer, so können wir uns noch ein wenig ausruhen. Am nächsten Tag wachen wir auf und befürchten, dass es schon Mittag ist, so geschäftig geht hier alles in der Kaserne. Es ist uns ganz schön peinlich, dass wir den Wecker verpasst haben, denken wir. Doch weit gefehlt. Es ist erst 6.15 Uhr! Hier fängt der Tag für die Soldaten wirklich früh an. Wir bedanken uns beim Kommandanten und verabschieden uns mit einem - bis später -, denn auch er erzählt uns nichts Gutes über die Strecke, die vor uns liegt.
Martin schreibt:
Nur wenige Kilometer später erreichen wir den Grenzübergang. Ein Schlagbaum verhindert ein Weiterfahren und auf der linken Seite stehen einige Häuschen. Wir steigen aus und überqueren ein provisorisch erbautes Brückchen um nicht durch den Schlamm gehen zu müssen. Von weitem kommt uns ein älterer Herr entgegen, sichtlich erfreut begrüsst er uns und heisst uns willkommen. Händedruck für mich, Küsschen für Andrea. Der Charmeur erklärt uns, dass ER der paraguayanische Zoll sei, der bolivianische sei gleich nebenan. Nun kommt auch der bolivianische Zöllner auf uns zu, er ist gerade aus dem Bett gefallen. Nach anfänglichem Murren fängt der Übernächtigte doch noch an zu reden und nimmt unsere Papiere entgegen.
«Bis vor ein paar Tagen stand das Wasser noch eineinhalb Meter hoch», erklärt uns der Paraguayaner. Die Häuschen standen allesamt unter Wasser. In uns tut sich Besorgnis auf, denn wer weiss, wie viel Wasser sich noch auf der Strecke, die vor uns liegt, angesammelt hat. Wir sollen bei der Armee weiter vorne fragen, auf jeden Fall raten sie uns von der Picada 500 ab. Die sei wirklich schlecht. Auf unseren Karten sind zwei Wege eingezeichnet: Eine nördliche Route, teilweise schon asphaltiert und eine südliche eine Erdstrasse, die Picada 500. Wir verabschieden uns von den beiden, obwohl sie noch gerne weiter geplaudert hätten. Unser Zeitplan ist eng, denn der Weg bis Mariscal, die nächste Ortschaft, ist noch 230 Kilometer weit entfernt. Dazwischen ist nichts, ausser einer Militärkaserne.
Als wir beim paraguayanischen Cuartel (Kaserne) ankommen, empfangen uns zwei Soldaten. Uns fallen die Lastwagen auf, die vor der Kaserne parkiert sind. Der Commandante klärt uns auf und nun wissen wir, dass die LKWs schon seit einer Woche dastehen und versuchen, durchzukommen. Das Problem fange bereits nach den ersten 500 Metern an. Dort gäbe es eine Wasserdurchquerung, 15 Meter in der Länge und mehr als einen Meter tief. "Wir können es ja versuchen, aber allzu viele Hoffnungen sollen wir uns lieber nicht machen» meint der Mann.
Natürlich wollen wir es probieren, sonst wäre ja alles umsonst gewesen. Die ganze Strecke hierher und der ganze Formularkrieg für nichts und wieder nichts? Wir machen uns auf und fahren zu dieser unglücklichen Stelle um das ganze aus der Nähe anzuschauen. Als wir dort ankommen, treffen wir auf die LKW Fahrer, die mit Schaufeln versuchen, den Graben trocken zu legen. «Hier dürft ihr nicht durch», sagt uns ein Soldat, der mit den Truckerfahrern zusammenarbeitet. «Wenn ihr hier durchfahrt, macht ihr alles kaputt und dann wäre unsere Arbeit umsonst gewesen». «Nehmt die Picada, dort kommt ihr mit eurem leichten Auto eher durch». Wir merken, dass wir unerwünscht sind und sie uns loshaben möchten.
Uns ist klar, das mit denen nicht gut Kirschen essen ist ,und wir wollen am Schluss nicht noch gelyncht werden. Das Risiko, im Schlamm auf der Picada stecken zu bleiben, nehmen wir lieber in Kauf, als es uns mit diesen Typen zu verderben. Nun gut, fahren wir zurück und nehmen die südliche Strasse. Uns ist nicht ganz wohl bei der Sache, denn uns wurde dieser Weg stets abgeraten. Ein Grund wieso wir diesen Weg nicht nehmen sollten, sei der, dass uns niemand helfen kann, wenn wir stecken bleiben würden. Es gäbe praktisch keinen Verkehr und es seien auch keine Maschinen in der Nähe, die uns rausziehen könnten.
Mit einem mulmigen Gefühl nehmen wir die Picada in Angriff. Anfänglich macht die Strasse einen ganz netten Eindruck, sie scheint soweit trocken zu sein. Wir passieren ein paar Baumaschinen und staunen, dass wir nicht alleine sind, so wie uns prophezeit wurde. Doch das ändert sich nach ein paar Kilometern. Soweit das Auge reicht sehen wir nur den Chaco, eine grüne, aber trockene Landschaft ohne Zivilisation. Auch der Weg verschlechtert sich, auf der Strasse tun sich grosse Löcher auf, zum grössten Teil mit Wasser gefüllt. Unsere russischen Karten zeigen Wege an, die es anscheinend noch nie gegeben hat, denn weit und breit gibt’s keine einzige Abzweigung, um in östliche Richtung abbiegen zu können. Immer mehr kommt es vor, dass die Strasse überflutet ist und es wird immer schwieriger mit dem Fahrzeug auf der Spur zu bleiben. Der Schlamm lässt das Auto abtreiben und wir haben soweit Glück, sind diese Stellen kurz genug, um rechtzeitig wieder festen Boden unter den Rädern zu haben.
Die Strecke ist immer wieder mit solchen Schlammstellen versehen, doch es scheint vorwärts zu geben. Vor uns taucht eine 50 Meter lange, mit giftig grünen Wasserpflanzen bedeckte, Wasserdurchquerung auf. Wir steigen aus und bereiten uns auf die vor uns liegende Herausforderung vor. In unseren Köpfen schweben noch die Bilder von den vielen Schlangen, die wir auf dem Weg hierher gesehen haben. Ein Steckenbleiben in dieser unberechenbaren Grütze wäre für keinen von uns beiden auf die leichte Schulter zu nehmen. Es gäbe auch nirgends einen Baum, wo wir unseren Handseilzug befestigen könnten, um unser Vehikel raus zu ziehen. Doch langes Bammeln bringt auch nichts und wir sind uns einig, dass wir es einfach versuchen müssen.
Reduktionsgetriebe auf zweiten Gang, sämtliche Differentiale sind gesperrt: wir sind bereit. In einem Ruck treiben wir mit unserem Landy in diesen Sumpf, das Gaspedal bis auf den Anschlag gedrückt. Von den anfänglichen 20 Km/h sind schon wenige Meter weiter nichts mehr zu sehen, das Fahrzeug wird immer langsamer, der Motor würgt sich bald ab. Ich merke, wie das Differential sich gegen den Schlamm drückt und das Auto fast zum Stillstehen zwingt. Uns läuft der Schweiss, der Motor röhrt und wir rücken nur Zentimeter vorwärts. Es kommt uns vor wie eine Ewigkeit. Nur nicht stecken bleiben, nur nicht stecken bleiben! Das Ende scheint sich immer weiter zu entfernen und wir sind bald an dem Punkt, wo ein Vorwärts und Zurück gleich tragisch wären. Nur ein klitzekleiner Fehler, nur ein Versuch, Kuppeln zu wollen, eine Ermüdung im Bein und das Gaspedal ein wenig loslassen, ein wenig mit dem Steuerrad die Richtung korrigieren… wir würden sofort stehen bleiben. Sekunden vergehen und wir merken, wie die Räder auf etwas Hartes stossen… ein Ruck und unser Landy springt förmlich, beschleunigt und wühlt sich durch die letzten paar Meter… Geschafft!!! Wir sind durch! Dieses harte Etwas hat den Rädern neuen Halt gegeben und dieser ganzen Schlammpartie den Todesstoss versetzt.
Wir springen aus dem Auto, umarmen uns, schreien, lachen. Hinter uns dieser grünbraune Ort des Schreckens. Jetzt brauchen wir ein paar Minuten, um uns zu beruhigen, zu spannend war der vergangene Augenblick. Dass dies nicht das letzte Abenteuer auf dieser Strecke sein könnte, ist uns in diesem Moment egal.
Nach dem ganzen Stress machen wir uns weiter, denn bis jetzt sind erst 70 Kilometer gefahren und vor uns liegen noch einige. Eine neue Sorge beschäftigt uns jetzt. Wo, um alles in der Welt, ist diese Strasse in Richtung Osten? Unsere GPS Karten sind im Moment absolut nutzlos und wir fragen uns wirklich, ob wir hier richtig sind. Doch umkehren bringt uns auch nicht weiter. Die Zeit vergeht und schliesslich treffen wir dann endlich auf eine Abzweigung. Ob sie nach Mariscal führt, wissen wir nicht. Unser Kompass zeigt allerdings, dass dieser Weg nach Osten geht. Der Weg ist noch schlechter als der vorherige, immer wieder müssen wir anhalten und Wasserlöcher oder Graben durchqueren.
Die Landschaft ist atemberaubend und Angst einflössend zugleich. Das Wissen, absolut allein zu sein erfüllt einem mit Besorgnis, denn hier hilft einem niemand. Wir kommen nur mühsam voran, immer wieder müssen wir anhalten und das Reduktionsgetriebe schalten um schwierige Passagen zu meistern. Als hätten wir’s geahnt, dass das noch nicht alles ist. Aus der Ferne ahnen wir Böses und zu recht. Eine beträchtliche Menge Wasser blubbert inmitten unseres Weges und diesmal sieht es nicht so rosig für uns aus. Die Durchquerung ist zwar kürzer als die vorherige, dafür aber auch tiefer. Ich tippe mal auf 70 Zentimeter, aber genau kann ich das auch nicht sagen. Einen halben Meter Wasser, wie es bei Flussdurchqueren oft der Fall ist, ist für ein Geländeauto nur eine mittlere Herausforderung… aber wenn das ganze mit Schlamm gemischt ist, dann erreicht das schon eine ganz andere Schwierigkeitsstufe.
Wir grübeln nach, wie wir da am besten durchkommen sollen. Auf beiden Seiten der Durchfahrt gibt es keine Ausweichmöglichkeiten. Die Wasserbreite ist in beide Richtungen nicht abzuschätzen. Die vorherige Durchquerung haben wir nur mit Müh und Not geschafft, gegen Schluss wäre der Motor abgewürgt worden. Die Stelle hier ist kürzer. Mit einer höheren Anfangsgeschwindigkeit und genügend Schwung sollte sie zu bewältigen sein. Wir verzichten wieder auf das lange Bammeln und überprüfen alle Sachen, ob sie auch gut gesichert sind. Schnell in solche Pfützen reinzudonnern drückt ganz schön auf das Chassis und es wird mit Sicherheit einen gehörigen Prall geben.
Wir fahren retour und nehmen Anlauf. Es wird sich zeigen, ob sich unsere haarsträubende Berechnung als richtig erweisen wird. Ich drücke aufs Pedal, der Landy krabbelt, schleicht, geht, fährt und rast schlussendlich mit 30 Sachen auf das Hindernis zu. Mit einer Wucht donnern wir ins Gemüse und werden regelrecht durchgeschüttelt. Schon wieder merken wir, wie das Differential und die ganze Achse sich gegen den zähen Schlamm stemmen. Wir werden gebremst, als ob man an einem Bungee Seil hängt und merkt, dass man von etwas zurückgehalten wird. Der Schlamm spritzt auf die Scheiben und die Räder pflügen sich vorwärts. Das Auto treibt nach rechts ab, doch ich bewege das Lenkrad nur ganz wenig. Ein Steuern würde auch jetzt zum Stillstand führen. Jetzt endlich haben wir’s geschafft. Mit letzter Kraft krabbelt Pajarito aus dem Teich, der Motor heult auf, als wir wieder festen Boden unter den Füssen haben.
Eines unserer beliebtesten Zitate aus Mel Brooks Spaceballs kommt über unsere Lippen: «Spektakulärer Stunt!». Nach diesem Offroad Erlebnis und 230 Kilometern Fahrt durch die vermeintliche Picada 500 (ob es die Picada war, wissen wir immer noch nicht, soviel gab unser GPS nicht Preis) kommen wir ganz ausgelaugt an einem Polizeikosten an. Hurra, wir sind in der Zivilisation... auch wenn die ersten Menschen hier nicht in zivil sind.
Andrea schreibt:
Die zwei Beamten scheinen überrascht über unser Auftauchen zu sein. In den letzten Tagen werden sie wohl nicht allzu viel zu tun gehabt haben und freuen sich, über die willkommene Abwechslung. Natürlich werden wir genauestens kontrolliert. Alles wollen die Beiden sehen und steigen neugierig in unser Auto. Nach gehörigem Probesitzen und Kisten öffnen sind sie dann zufrieden. Todo tranquilo, wir dürfen den Weg passieren. Als der eine Beamte aber bemerkt, dass wir aus der Schweiz kommen, will er uns doch nicht so einfach gehen lassen. Gleich um die Ecke gäbe es eine schweizer Kolonie, die müssten wir einfach besuchen. Na gut, nach der ganzen Anstrengung haben wir sowieso ziemlichen Durst und dem Polizisten scheint es nicht anders zu gehen. Er steigt bei uns ein, und gemeinsam fahren wir durch den brütend heissen Chaco nach Rosaleda, der schweizer Kolonie.
Auf dem Weg passieren wir deutsch beschriftete Schilder und ein Briefkastenhäuschen, wie wir es in ganz Südamerika noch nicht gesehen haben. Fein säuberlich ist alles hergerichtet, steht in Reih und Glied, eben wie wir es uns von zu Hause gewohnt sind. Der Beamte führt uns zum Almacen Chico (kleiner Laden). Hier soll es was zu trinken geben. Es tut gut, mal wieder mit einem Grüezi begrüsst zu werden, und so lernen wir einige der Koloniebewohner kennen. Es ist spannend, zu sehen, wie die Menschen hier miteinander leben. Ungefähr zwanzig Familien haben sich hier im Chaco vor etwa 11 Jahren eine neue Existenz geschaffen, leben in ihrem kleinen Paradies auf Erden. Die meisten Bewohner sind schon pensioniert, und wir bewundern den Mut der Menschen, in einem solchen Alter noch den Schritt der Auswanderung zu wagen. Anfangs fragen wir uns, was die Leute genau hierhin, in den Chaco geführt hat, wo Wasser kostbarer als alles andere und wirklich schwer zu beschaffen ist, ganz zu schweigen von Strom, Telefon und medizinischer Versorgung. Doch die Antwort lesen wir bald in den Gesichtern der Bewohner. Sie leben hier in absoluter Freiheit, sind total ungestört und müssen sich nur um sich selbst, ihre Tiere und Pflanzen kümmern. Natürlich haben sie auch Pflichten gegenüber der Gemeinde, denn das gemeinsame Leben funktioniert nur, wenn alle mitarbeiten. Wir staunen und wären noch gerne ein Weilchen hier geblieben, hätten am Leben der Menschen ein wenig teilgehabt, doch uns fehlt noch der so wichtige Stempel im Pass und das wollen wir nun doch erst mal erledigen. Wir verabschieden uns von den Schweizern und wünschen ihnen alles Gute in Rosaleda, einem hoffnungsvollen Plätzchen in der Wildnis des Chaco.
Nach 30 Kilometern erreichen wir dann Mariscal Estigarribia, den letzten Aussenposten im Chaco, hier sollen wir unsere Papiere erledigen. Von den paraguayischen Beamten hört man ja so Einiges und was Korruption angeht, so ist dieses Land der absolute Spitzenreiter aller südamerikanischen Länder. Schon am Dorfeingang werden wir von einem weiteren Polizisten angehalten, der die Papiere und unser Auto sorgfältig kontrollieren will. Er ist freundlich, aber wir ahnen schon, dass er auf eine Participacion (finanzielle Unterstützung) aus ist. Er schaut sich die Pässe an und fängt an, seine Register zu ziehen. Wo unsere Visa seien, fragt er uns. Wir wissen natürlich, dass wir kein Visum für Paraguay benötigen. Er erzählt uns eine Geschichte, dass die Schweiz in den letzten Tagen eine politische Auseinandersetzung mit Paraguay hatte, und wir ab sofort ein Visum bräuchten. Wir bleiben hart und erwähnen die Neutralität der Schweiz und fragen ihn freundlich tausend Dinge rund um die Route und seinen Job. Er gibt noch nicht nach und fragt weiter nach dem Visum. Wir erfinden eine weitere Geschichte und erzählen ihm, wir hätten vor zwei Tagen mit dem Chef vorsitzenden Herrn Martinez auf der Schweizer Botschaft in Asuncion telefoniert, er wäre ein guter Bekannter von uns und hätte uns versichert, dass wir ohne Visum einreisen können. Das hat gesessen. Mit einem freundlichen Lächeln händigt er uns die Pässe aus und winkt uns durch. Beim Abschied verrät er uns noch die schönsten Plätze des Landes, die wir auf jeden Fall nicht verpassen dürften.
Aber nur eine teuflische Schlammpiste und ein paar korrupte Polizisten, damit ist man noch lange nicht offiziell in Paraguay! Wir haben immer noch keinen Stempel, den gibt’s weiter vorn.
Wir entdecken das Schild Aduana (Zoll) und steuern auf die Baracke am Strassenrand, den Ort unserer Hoffnungen. Die drei Herren sind sehr freundlich, doch wir sind erst seit Kurzem in diesem Land und wissen diese Freundlichkeit noch nicht einzuordnen. Sie erklären uns, dass wir uns zuerst etwas weiter hinten im Dorf bei der Migracion (Einreise) melden sollen. Dort angekommen, warten wir eine halbe Ewigkeit vor einem heruntergekommenen Trailer, bis uns endlich die Tür geöffnet wird. Der schleimige Typ in Unterhose verlangt nach unseren Pässen, verschwindet dann wieder im Dunkeln und schliesst die Tür hinter sich. Wir warten ungeduldig draussen und beobachten drei kleine Kinder, wie sie immer wieder um unser Auto schleichen. Wir sind auf Alles gefasst. Wurden die Kinder engagiert, um uns irgendwelche Drogen unters Auto zu schieben? Immer wieder verstecken sich die Kleinen ausser Sicht, auf der anderen Seite des Autos und fingern daran herum. Wir sind wie auf Nadeln und ich beschliesse, mit den Kindern zu sprechen, sie abzuwimmeln. Leider reagieren sie auf keines meiner Worte. In Paraguay gibt es zwei offizielle Landessprachen, jedes Kind lernt in der Schule Spanisch und Guaraní, zuweilen das Guaraní aber bereits die Überhand genommen hat und bei den einfachen Leuten meist als einzige Sprache gesprochen wird. Ich hole eine Schachtel Cornflakes aus dem Auto, gebe jedem Kind eine handvoll davon und deute ihnen an, dass sie gehen sollen.
Sie rennen davon und als ich mich erleichtert zu Martin umdrehe, der vor dem Trailer auf die Pässe gewartet hat, ist er verschwunden. Die Tür zum Trailer ist jetzt offen und Martin steht voller Erwartungen vor dem schmierigen Typen, der uns dann endlich die Pässe gestempelt aushändigt. Alles gut gelaufen, hat nicht mal was gekostet und so steigen wir in unser Auto für den zweiten Teil der Prozedur, die Autogeschichte. Doch fast vergessen, wir wollten doch noch die Passkopien abstempeln lassen, damit wir bei einer Strassenkontrolle nicht die Originalpässe aushändigen müssen. Doch der Typ ist im Klo verschwunden und lässt sich für sein Geschäft endlos Zeit. Aus einem Radio dröhnt laut irgendein Kinderlied und die ganze Geschichte kommt uns vor, wie aus irgendeinen Roadmovie. Die lästigen kleinen Kinder sind auch wieder da und befingern unseren Pajarito von allen Seiten. Jetzt ist es an Martin, die Kinder abzulenken und ich warte solange, bis der Beamte sein Geschäft erledigt hat.
Endlich öffnet sich die Tür und der Typ in Unterhose schaut uns verdutzt an. Ich versuche in den freundlichsten Worten nach dem Stempel zu fragen, er lässt mich eintreten und schliesst die Tür vor Martins Nase. Was ich mir alles anhören musste, um an die zwei Stempel zu kommen, bleibt hier lieber unerwähnt, jetzt nur noch weg hier, murmle ich Martin zu, er bemerkt mein Unbehagen und startet schnell den Motor. Der schmierige Typ grinst uns zu und ich bin nur froh, hier weg zu kommen.
Bei der Aduana warten plötzlich nicht nur noch drei Männer, zwei stämmige Herren im Kampfanzug haben sich dazugesellt. Sie geben sich nervös und bitten uns inständig, sie für eine Inspektion zu begleiten. Was soll das denn schon wieder? Wohin sollen wir gehen, fragen wir. Er meint, es sei nicht weit von hier und wir sollen uns beeilen. Schon sind die beiden Herren eingestiegen und weisen uns an, ihnen zu folgen. Widerwillig fahren wir in grossem Abstand hinterher. In uns läuten die Alarmglocken. Was wird das bloss, eine Entführung? Wir überlegen, ob wir umdrehen sollen, doch wir entscheiden uns, ihnen in sicherem Abstand zu folgen. An einem Haus angekommen, fordern sie uns auf, zu parken. Wir rühren uns nicht von der Stelle und verlangen freundlich die Ausweispapiere der beiden Herren. Sieht echt aus. Wir parken ein und werden von Oben bis Unten gefilzt. Der Drogenhund macht sich auf unseren Polstern zu schaffen, Martin lässt den einen Beamten, der unsere Pässe registrieren will, keine Sekunde aus den Augen. Irgendwas ist hier faul, denken wir. Der Mann mit unseren Pässen versucht Martin ständig dazu zu bewegen, zum Auto zu gehen, doch er bleibt stur und weicht dem Mann nicht von der Seite. Ich bleibe beim Auto, versuche alles und jeden zu beobachten, der sich dem Auto nähert. Nach zwanzig Minuten ist der Spuk vorbei. Nichts gefunden, jetzt können wir endgültig zur Aduana.
Nass geschwitzt kommen wir wieder bei den drei Herren an. Sie fragen uns, ob wir gut behandelt wurden und sind sehr hilfsbereit. Unsere Papiere wollen sie erledigen, doch es dauert eine Weile und wir können in der Zwischenzeit beim Restaurante Italiano etwas essen gehen. Jetzt brauchen wir ein Bier und etwas Gutes zu essen. Das war ein ziemlich anstrengender Tag. Als sich der Wirt bei uns dann noch auf schwyzerdütsch vorstellt, sind wir ganz von den Socken. Er erzählt uns, dass er damals bei der Gründung von der Kolonie Rosaleda auch dabei war, sich aber von den Leuten abgewendet hat. Es sei zwar schön dort, aber doch nicht ganz so einfach, wie es den Anschein hat. Das können wir verstehen, sind die meisten doch pensioniert und wollen einfach noch eine schöne Zeit erleben, wobei er noch mitten im Arbeitsalltag steckt und seine Brötchen verdienen muss. Da entstehen automatisch Interessenskonflikte.
Ein paar Minuten später kommen zwei neue Gäste ins Restaurant. Unter ihnen Godi, ebenso ein Schweizer, der eines Tages seine Koffer gepackt hat, um hier im Chaco neu anzufangen. Seine Auswanderung ist momentan noch nicht offiziell. Er lässt sich seinen Pass alle 90 Tage neu abstempeln, vom schmierigen Typen nebenan, und ich wage nicht zu vermuten, was für Dienste er ihm dafür erweisen muss… Jedenfalls haben wir Respekt vor so viel Mut und schmunzeln über das Nest Schweizer, das wir hier mitten in Paraguay entdeckt haben.
Martin schreibt:
Wir entschliessen uns, den drei Zöllnern etwas zu Essen mitzubringen und als wir bei ihrem Trailer ankommen sind sie sehr erfreut über unsere kleine Aufmerksamkeit. Sie haben uns ein Fahrzeugdokument mit einer Gültigkeit für fünf Tage ausgestellt. Wir informieren sie, dass wir uns eigentlich gerne länger in ihrem Land aufhalten möchten und unser kleines Mitbringsel zeigt nun Wirkung: Einer der Herren setzt sich spontan an seine uralte Schreibmaschine und beginnt, den ganzen Text neu zu tippen. Zwanzig Minuten später haben wir nun ein Formular in der Tasche, das uns berechtigt, für 30 Tage in Paraguay zu bleiben. Andrea und ich sind nun zufrieden, die drei Herren ebenfalls.
Sie fragen uns, wohin wir jetzt gehen werden. «Ein wenig weiter ausserhalb, um zu übernachten», antworten wir. «Bleibt doch hier, da draussen ist ja nichts», meinen die Beamten. Wo sie Recht haben, haben sie Recht. «Setzt euch!» und so beginnt unser erster Abend in diesem neuen Land. Es wird geredet und diskutiert und wir haben somit die Gelegenheit, mehr über die Leute und die Geschichte Paraguays zu erfahren. Wir lernen die ersten Worte Guaraní und nebenan nimmt ein älterer, indigener Mann Platz. Wir erfahren, dass der Mann drei Sprachen spricht, nebst Castellano und Guaraní eine alte, sehr schwierige indianische Sprache.
Uns fällt wieder einmal auf, wie schon oft auf unserer Reise, dass sich die Meinung der Einheimischen hinsichtlich Politik nicht immer mit den westlichen Kritiken decken. Paraguay hat angeblich viele Jahre unter der Diktatur Strössners gelitten, uns wird aber erzählt, dass die Zeiten damals besser gewesen wären. Wir können natürlich nur zuhören und wissen nur, was wir aus der Literatur demokratisch gesinnter Autoren gelesen haben. Solche Gespräche konnten wir schon in Argentinien und Chile führen, auch diese Länder haben Diktaturen hinter sich, die die Menschen geprägt haben.
Mehrere Stunden sitzen wir nun da und reden, alle in einem Kreis, daneben ein Wohnwagen mit einer alten Schreibmaschine drin. Als der nächste Morgen anbricht, werden wir aus dem Zelt geschüttelt. «Es gibt Frühstück», ruft uns einer der Beamten zu. Todo Tranquilo!