nichtswieweg... vier Abenteurer unterwegs

Feuerland ...und über den Plattenrand hinaus!
Reisebericht vom 19.01.2006, Argentinien
Highlights: Feuerland, Rio Grande, Lago Blanco, Lago Fagnano

Andrea schreibt:

Feuerland, der Name allein schafft Bilder. Als Kinder hörten wir einmal von diesem Land, weit weg von Europa, ganz im Süden nahe dem ewigen Eis der Antarktis, das von irgendeinem geheimnisvollen Feuer erhellt werden muss. Später erzählt man uns von gescheiterten Seefahrern, die nie wieder gesehen wurden, von Schiffen, die für immer verschwunden blieben. Dieses mythische Land soll nun so nahe vor uns liegen? In uns erwacht der Entdeckergeist, und wir ahnen schon, dass unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen werden.

Martin schreibt:

Wir sind schon ganz aufgeregt, als die Fähre am Ufer des kleinen Orts Punta Delgada auf dem chilenischen Festland ablegt. Nur eine halbe Stunde trennt uns von der sagenumwobenen Insel. In der Meeresenge, die zugleich auch der Beginn der Magellan Strasse ist, tobt ein kalter Wind. Die See ist rau und das Fährschiff schaukelt hin und her. Das Salzwasser spritzt meterweit über die Reling und wir suchen Unterschlupf im überdachten Raum für die Passagiere. Die Crew allerdings macht keinerlei Anzeichen von Nervosität – anscheinend ist heute gutes Wetter. Die Zeit vergeht wie im Fluge – nur noch wenige Minuten, und wir werden Feuerland leibhaftig betreten. Die LKW Fahrer starten ihre Dieselmotoren und machen den Anschein, als wollten sie schon los fahren. Von den Motorengeräuschen der Camiones animiert, sputen wir uns in unsere Fahrzeuge und wärmen unsere Motoren ebenfalls vor.

Die Brücke der Fähre wird heruntergelassen, die LKWs donnern los und das Schiffchen scheint die Kraft der 40 Tonnen schweren Riesen zu spüren. Immer wieder gibt der Kapitän Gas, um die Fähre an Land zu halten. Jetzt sind wir an der Reihe. Mit einem Ruck geht’s über die Brücke und wenige Sekunden später spüren wir festen Boden unter uns. Wir sind angekommen. Wir fühlen uns, als würden wir die ersten sein, die dieses wundervolle Land betreten. Erst mal anhalten, tief durchatmen. Wir steigen aus unseren Fahrzeugen und sehen uns erst einmal um. Grasbüschel in den altbekannten patagonischen Farben, Zäune, kein Baum weit und breit.

Wir holen unser Kartenmaterial heraus und beginnen zugleich, unsere Route zu planen. Kurze Zeit später sind wir uns alle einig. Wir wollen in Chile bleiben und werden deshalb südwestwärts fahren, zur Bahia Inutil. Der Name selbst klingt schon seltsam: Unnützliche Bucht. Ob sie für uns was bringen würde, wollen wir herausfinden.

Andrea schreibt:

Eine Schotterstrasse führt uns in immer menschenleerere Gegenden. Das Land ist hügelig und fruchtbar. Hier sind wir dem Leben und der Natur näher als je zuvor. Die Wolken ziehen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit über unsere Köpfe, und der Wind fegt in Meeresnähe tosend übers Land, dass man glauben könnte, das Wasser kocht weiss schäumend.

Die Suche nach einem passenden Schlafplatz ist gar nicht so einfach. Das gesamte Land gehört den Estanzieros und ist bis zum letzten Meter eingezäunt. Ans Dachzelt öffnen ist heute nicht zu denken, die Kraft des Windes würde unser Zelt im Nu zerreissen.

Martin schreibt:

Wir fahren der Bahia Inutil entlang und machen einen kurzen Stopp in Cameron. Im Reiseführer steht, dass in diesem kleinen Ort im Dezember die Schafe geschoren werden. Gespannt auf das Spektakel fahren wir in das Dorf hinein und halten Ausschau nach Tiergattern und Menschenaufläufen. Doch leider treffen wir keine Menschenseele an. Das grosse Ereignis ist also vorüber, denken wir, und machen uns auf weiter entlang der Küste.

Der Wind macht uns Sorgen und für die Übernachtung haben wir noch immer keinen passenden Platz gefunden. Die einzige Möglichkeit, so scheint es uns, ist das Kampieren im Windschatten eines Estancia Gebäudes. Wir fahren einen kleinen Weg zu einer Estancia und wollen den Besitzer nach einem windstillen Örtchen zum Übernachten fragen. Doch der zieht Leine, als er uns kommen sieht. Ob er wohl Angst vor Touristen hat? Machen wir einen Schritt vorwärts, macht er einen Schritt zurück. Uns kommt das vor wie in einem Verfolgungsspiel. Wir sehen ein, dass er uns nicht haben will, und kehren enttäuscht auf die Strasse zurück. Wir hoffen nur, dass sich nicht alle Chilenen uns gegenüber so verhalten werden… vielleicht lag es aber auch nur am Namen der Bucht, den wir jetzt irgendwie auch verstehen können.

Hinter einem kleinen Hügel finden wir dann kurz vor Sonnenuntergang, und das ist hier wirklich spät, einen Unterschlupf.

Andrea schreibt

Am nächsten Tag tauchen wir tiefer in diese geheimnisvolle Welt ein. Ich fühle mich wie Alice im Wunderland, die in den Kaninchenbau fällt und aus dem Staunen nicht mehr heraus kommt. Unser Weg führt vorbei an seltsamen Urwäldern, deren Bäume sich mit der Zeit in Windrichtung gekrümmt haben, ein skurriles Bild. Die Estanzias sind im schottischen Stil gebaut. Menschen sieht man hier kaum. Das Leben spielt sich anscheinend nur im Inneren dieser grossen Häuser ab. Nur Tausende von Schafen trotzen der Kälte und dem rauen Wetter.

Am Lago Blanco machen wir für ein paar Tage Halt. Mitten in einem uralten Wald schlagen wir unser Lager auf. Über uns knarrt und giert es, es scheint, als würden die Bäume unter der vielen Jahre alten Last brechen wollen. Eines Morgens, es ist noch früh, verschwindet Martin und wandert zum See. Einige Wochen später erzählt er mir, dass dies eines der schönsten und glücklichsten Momenten unserer Reise war, am Lago Blanco zu sitzen und hundert Meter durch das tiefblaue Wasser zu sehen, ganz alleine, nur er und der See.

Am nächsten Tag machen sich Anita und Roger auf den Weg nach Rio Grande. Sie wollen heute über den Paso Bellavista auf die argentinische Seite Feuerlands fahren. Von anderen Reisenden haben wir schon allerhand über diesen Grenzübergang gehört. Die Strasse sei weggerissen, die Brücke eingebrochen, im Weg gibt es Stufen. Überhaupt ist das Ganze nur mit einem Lastwagen machbar! Die letzten Erfahrungen haben uns gezeigt, dass solche Vorwarnungen anderer Reisender meistens masslos übertrieben und wenig erbaulich sind. Wir staunen trotzdem, als das Team Gaucho nach zwei Stunden wieder auftaucht und uns die Photos vom Übergang präsentiert.

Wir beschliessen, den Übergang morgen gemeinsam zu passieren, damit wir uns im Notfall gegenseitig aus dem Wasser ziehen können. Mit riesiger Vorfreude checkt Martin am nächsten Morgen den Motor, klebt den Zündverteiler ab, denn das Wasser kommt vermutlich bis zur Hüfte. Jetzt kann diesem Offroad Abenteuer nichts mehr im Wege stehen! Roger und Anita führen uns zum Zollbüro, wo alle Papiere erledigt werden. Der Zöllner wünscht uns noch Suerte!, und wir sind guter Dinge. Am besagten Übergang angekommen, beginnen wir uns „reisefertig“ zu machen. Martin montiert sogar die Badehose, denn wir wollen zuerst die genaue Wassertiefe checken. Plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchen zwei argentinische Mitsubishis auf. Wir trauen unseren Augen nicht, als sie etwa 200 Meter von uns entfernt in einem Zug quer durchs Wasser düsen, ohne mit der Wimper zu zucken. Da stehen wir nun, mit der Badehose und dem Habegger (Handseilzug), für das Schlimmste vorbereitet. Die ganze Situation ist ganz schön peinlich und wir entschliessen uns etwas entmutigt, den Mitsubishis zu folgen.

Martin schreibt:

In Rio Grande, einer der beiden Städte Feuerlands decken wir uns mit allerlei Leckereien für die Festtage ein und gehen mal wieder richtig gut Essen. Weihnachten wollen wir nämlich schön einsam an einem der vielen Seen im südlichen Feuerland verbringen. Doch bevor wir Richtung Ushuaia fahren, möchten wir ein paar Tage in der Stadt bleiben. Wir fahren zum Club Nautico, den uns Laurent und Ines aus Frankreich empfohlen haben. Campingplätze gibt es hier keine. Als wir beim Club ankommen, kommt uns alles ein wenig vor wie in einer Hippie Kommune. Im gemeinsamen Aufenthaltsraum ist jeder mit dem Würzen von Fleischgerichten beschäftigt und jeder Tisch ist mit irgendwelchen Leuten besetzt. Wir machen uns aus dem Staub und fahren zur YPF Tankstelle, die direkt am Meer liegt. Dort finden wir ein gemütliches Plätzchen inmitten all der Trucker Fahrer. Kurze Zeit später fährt ein weisser Land Rover mit Berner Nummernschild ein und wir können unseren Augen nicht trauen. Es sind Mario und Steffi, die wir im Urwald in Missiones vor einigen Monaten kennen gelernt haben. Die Freude des Wiedersehens ist riesig und wir haben uns natürlich eine Menge zu erzählen.

Andrea schreibt:

Es ist heute der 24. Dezember 2005, schon bald 18.00 Uhr und von einem lauschigen Plätzchen noch keine Spur. Wir haben uns erhofft, das Fest bei den Thermen in der Nähe des Lago Fagnano zu verbringen. Aber denkste, die haben geschlossen und wir müssen den üblen Schotterpfad zurück zur Hauptstrasse nehmen und nach einem anderen Platz Ausschau halten. Langsam werden wir alle ein wenig ungeduldig. Martin und ich entdecken nach langer Zeit einen kleinen Weg, der zum See führen soll. Ohne grosse Erwartungen scheppern wir die kleine Strasse hinunter und entdecken aber nach einigem Suchen ein wundervolles Plätzchen am Ufer des Lago Fagnano. Hier richten wir es uns gemütlich ein und bereiten ein tolles Weihnachtsmenu zu. Auch Roger und Anita gefällt es hier und so bleiben wir gleich ein paar Tage.

Zu Weihnachten haben wir vom Team Gaucho eine Angelrute bekommen und freuen uns riesig über das Geschenk. Die nächste Zeit sehen uns die Beiden kaum noch, denn jede freie Minute steht einer von uns Beiden am Ufer und badet fleissig Würmli. An den Abenden sitzen wir am Lagerfeuer und sehen ein, dass es uns einfach unglaublich gut geht. Zwar fangen wir keinen Fisch an diesem See, aber die Erinnerung an diese schönen Tage tragen wir ab jetzt mit uns.

Martin schreibt:

Die Weihnachtstage sind vorüber und wir sind schon richtig gespannt, was uns in Ushuaia erwarten wird. Angeblich soll in der südlichsten Stadt der Welt an Sylvester so richtig die Post abgehen. Jeder Reisende, den wir unterwegs getroffen haben (und das sind mittlerweile schon recht viele), ist auf dem Weg nach unten. Wir bereiten uns mental auf die bevorstehende Ereignis vor… denn es werden bestimmt keine gemütlichen Ruhetage in Einsamkeit werden. Den wunderschönen Lago mit dem prächtigen Panorama verlassen wir schweren Herzens und kehren auf die Piste, die nach Ushuaia führt, zurück. Uns trennen nur noch 80 Kilometer vom Ende der Welt.

Kurz vor Ushuaia passieren wir den Kontrollposten der Gendameria Nacional und wir können schon die ersten Häuser der urbanen Zone sehen. Ushuaia, die Bucht, die nach Osten sieht – so die Übersetzung des Indianerworts Ushuaia, liegt schön eingebettet in den umliegenden Bergen, vom Wind geschützt, am Beagle Canal. Die Strasse führt oberhalb der Stadt durch, und man kann von weitem die riesigen Kreuzfahrtschiffe im Hafen erkennen. Auch sieht man die vielen Kreuzer, die wohlbetuchte Passagiere in die Antarktis fahren. Die Stadt selbst ist einzigartig. Uns überrascht die Mischung von schönen, gepflegten Häuschen mit in Windeseile hochgezogenen Provisorien. Es ist schwierig zu sagen, ob die Stadt schön oder hässlich ist. Mit Bestimmtheit ist sie einzigartig – einzigartig wegen ihrer Lage und auch wegen ihrem seltsamen Baustil.

In der Stadt machen wir ein paar Besorgungen und trennen uns deshalb auf. Anita und Roger werden am Abend auf den Camping Andino gehen, Andrea und ich entscheiden uns für ein paar Tage im nahe gelegenen Nationalpark Tierra del Fuego. Im Park finden wir einen wunderschönen Platz direkt am Rio Pipo. Wir wundern uns, dass wir die einzigen sind. Wo tummeln sich all die anderen Touristen herum? Sylvester ist in vier Tagen und wir beschliessen, uns noch ein wenig Zeit in Ruhe zu gönnen. Im Rio versuchen wir Fische zu fangen, doch leider erfolglos. Am anderen Morgen, wir stehen gerade auf, stehen um unser Auto lauter Leute. Gabi und Erich und Susana und Peter, alle aus der Schweiz, stehen vor dem Zelt und begrüssen uns zum Tag. Anscheinend sind wir doch nicht die einzigen und nun sind wir zuversichtlich, was das bevorstehende Fest anbelangt.

Vor ein paar Tagen haben wir eine Nachricht von Caroline und Urs, zwei Rucksacktouristen aus der Schweiz (www.anderswo.ch), erhalten. Sie sind ebenfalls in Ushuaia und werden am 30.12. in die Antarktis fahren. Wir wollten uns schon einige Male treffen, leider hat’s bis jetzt noch nicht geklappt. Doch diesmal ist das Timing perfekt. Am Abend treffen wir sie im Che Pub, inmitten der Stadt. Es kommt uns vor wie in einem Blind Date… Obwohl wir sie noch nie gesehen haben, haben wir oft miteinander hin und her gemailt.

Wir verbringen einen tollen Abend zusammen und hören gespannt ihrem Reisevorhaben „Antarktis“ zu. Sie konnten sich ein günstiges Ticket angeln und werden die nächsten zehn Tage zur Polarregion mit einem Schiff aus Norwegen aufbrechen. Wir tauschen Bücher und Andrea und ich freuen uns riesig über ihren „Lonely Planet, Brasil“ Reiseführer. Als Gegenzug werden wir ihnen am nächsten Tag ein paar Kleider für die Schiffreise ausleihen. Anscheinend geht es auf so einem Kreuzer ziemlich nobel zu und her… und ihr Backpacker Rucksack lässt keinen Platz zu, für noble Klamotten.

Bis zum 31.12. sind wir uns immer noch nicht sicher, wo das Treffen stattfinden soll. Wir werden schon ein wenig ungeduldig. Auf dem Camping Andino treffen wir dann auf das Team Gaucho und Mario und Steffi. Wir entschliessen uns, Neujahr im Nationalpark zu verbringen, obwohl die meisten Touristen auf dem Andino sind. Am Nachmittag machen wir uns daran den Nationalpark zu erkunden, und nach Leuten, die wir kennen, Ausschau zu halten. An den wenigen Plätzen im westlichen Teil des Parks treffen wir nur vereinzelt auf Leute, aber nicht auf die, die wir uns erhofft haben. Wir beschliessen zum Rio Pipo zu fahren und Sylvester dort zu feiern. Der Andino ist mittlerweile voll und es gibt keinen Platz mehr. Am Rio angelangt, sehen wir Andrea und Dani mit dem kleinen Kylian. Wir freuen uns riesig und gesellen uns zu ihnen. Kurze Zeit später kommen wie aus dem Nichts Gabi, Erich, Susana und Peter entgegen. Sie waren auf dem Flucht vor dem Guardaparque (Parkwächter), der die Gebühren für den Park einkassieren wollte. Als wir dann noch Markus und Elli sehen, ahnen wir bereits, dass wir uns am richtigen Ort befinden. Am Abend folgen noch Mario und Steffi mit ihren Bekannten aus Bern, Rahel und Frank. Auch Hannes mit Christina aus dem Südtirol machen es sich hier gemütlich.

Das Fest ist fleissig im Gange, überall wird grilliert, geredet und getrunken. Um die Feuerstelle stehen fünf Land Rover aus der Schweiz und wir fühlen uns wie eine riesige Familie. Rund um den Fluss haben sich auch viele Argentinier versammelt und um 12 Uhr lassen wir’s krachen. Die Argentinier drücken auf die Hupe, Roger lässt das Martinshorn vom Gaucho ertönen… alles in allem, ein feuchtfröhlicher Abend, der noch viele am anderen Tag zu spüren haben. Wir fühlen uns glücklich, diesen Feiertag an einem so wundervollen Ort mit so vielen neu gewonnen Freunden verbringen zu dürfen. Diese Tage werden uns für immer, wohlbehalten in Erinnerung bleiben.