nichtswieweg... vier Abenteurer unterwegs

Vom Dach Südamerikas in den bolivianischen Regenwald
Reisebericht vom 06.06.2006, Peru, Bolivien und Brasilien
Highlights: Titicaca See, Cañon de Colca, Arequipa, Cusco, Transozenica, Beni, Pando, Porto Velho

Martin schreibt:

In Desaguadero, einem Ort 80 Kilometer von La Paz entfernt, passieren wir die Grenze zu Peru. Wir befinden uns nun in einem neuen Land, bemerken aber keine grossen Unterschiede zum Nachbarland Bolivien. Dies ist sicherlich auf die gemeinsame Geschichte der beiden Länder zurückzuführen, denn bis 1825 gehörte Bolivien noch zum Süden Perus. Die Strasse führt dem Titicaca See entlang, dem höchstgelegenen schiffbaren See der Erde. Schilf ziert das Seeufer und in Ufernähe pflanzen die Bauern ihr Getreide an. Vor Puno schwimmen zahlreiche Schilfinseln, ursprünglich die Lebensplattform der Ureinwohner, heute aber leider zu einer reinen Touristenattraktion mutiert. Die Freude auf das neue Land wird an unserem ersten Tag ein wenig getrübt, als wir drei Mal von Polizisten aus dem Verkehr genommen werden und für irgendein Delikt gebüsst werden sollten. Doch Beamte allein machen noch kein Land aus und wir tragen das Ganze mit Fassung. Ausserdem sind wir wieder einmal unbeschadet davon gekommen.

In den nächsten Tagen machen wir einen Ausflug in das Colca Tal. Die Region um Colca soll landschaftlich das Schönste sein, was Peru zu bieten hat. Um in das Tal zu gelangen, müssen einige Viertausender überquert werden. Die Piste ist in einem sehr schlechten Zustand, überall liegen Steinbrocken im Weg und die Strasse schlängelt sich durch das hohe Gebirge. Als wir die letzte Bergkette überwinden, können wir unseren Augen nicht trauen. Aus der fremdartigen Altiplanolandschaft, die von einem anderen Planeten zu sein scheint, taucht eine Oase mit grünen Wiesen und goldgelb schimmernden Getreidefeldern auf. Die Hänge des Colca Tals sind mit Terrassen überbaut und beinahe jeder Quadratzentimeter wird für die Landwirtschaft genutzt. In Chivay, der Hauptstadt der Region, gönnen wir uns wieder einmal ein wenig Luxus und besuchen das örtliche Thermalbad.

Nur wenige Kilometer von Chivay entfernt beginnt der Colca Cañon. Mit einer Schlucht von über 4000 Metern Tiefe ist er noch gewaltiger als der Grand Canyon in den USA. Am Canon Rand lassen sich Kondore durch den thermischen Auftrieb in die Lüfte heben. Auch die weltgrössten Kolibris haben hier ihr Habitat. Leider lässt sich der Neuweltgeier nicht ausfindig machen und wir versuchen unser Glück am nächsten Morgen, wenn die Riesenvögel auf Nahrungssuche gehen.

Die Nächte sind eisig kalt und wir sehnen uns nach wärmeren Regionen. Obwohl wir uns mittlerweile an die Höhen gewöhnt haben, fällt das Atmen schwer und jede Handbewegung verbraucht doppelt soviel Energie. Wir entschliessen uns nach drei Tagen, das Colca Tal wieder zu verlassen und in tiefere Gefilde zu reisen. Auf der holperigen Rückfahrt kriegt der Kühler Pajaritos ein Leck ab, und Wasserdampf entweicht aus dem Radiator. Die üble Schotterstrasse hat den Radiator aus seiner Fassung gehoben und die hammerartigen Schläge, der mit Löcher und Rinnen übersäten Strasse, haben ein Blechende des Kühlers zum Reissen gebracht. Alle zehn Minuten müssen wir anhalten, um den Motor abkühlen zu lassen. Unser nächstes Ziel ist Arequipa, die 150 Kilometer entfernte Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Als wir nach einer endlos scheinenden Fahrt in der Stadt ankommen, suchen wir sofort einen Mechaniker auf, der uns den Kühler in zwei Tagen repariert. Wir nutzen die Zeit, um die schöne Altstadt und die prächtige Plaza von Arequipa zu erkundschaften.

Anstatt nur das Leck zu schweissen, entscheiden wir uns, den gesamten Kühlpanel auszuwechseln. Er hat seine besten Jahre hinter sich. Wieder einmal sind wir überrascht, wie geschickt die südamerikanischen Mechaniker jegliches Autoproblem in den Griff kriegen. Der Radiator ist jetzt neu und wir können unsere Reise sorglos fortsetzen.

Von Arequipa aus fahren wir los in Richtung Cusco. Wir nehmen nicht die Asphalt Strasse, mit der Meinung, so schneller vorwärts zu kommen, denn nach unseren Karten ist es eine Abkürzung. Wieder befinden wir uns im andinen Hochland und die angebliche Abkürzung wird zu einem Umweg, der immer grössere Dimensionen annimmt. Drei Tage sind wir nun unterwegs, immer wieder sind hohe Pässe zu überqueren und unser GPS zeigt nur Distanzen in Luftlinien an. Auf dieser Höhe können wir unser Notebook nicht einschalten, denn sonst würde die Festplatte Schaden nehmen. Ohne gute Karten und ebenso ohne Ahnung, wo wir eigentlich sind, fahren wir der Strasse entlang. Wir müssen uns auf einheimische Bauern verlassen, die uns an Gablungen die Richtung weisen.

An einer Strassenkreuzung werden wir von einem Campesino gefragt, ob wir in bis Sicuani mitnehmen würden. Zwei Damen möchten ebenfalls noch mit, sie hätten fast kein Gepäck. «Ist gut», meinen wir, in der Hoffnung dass sie uns vielleicht mit dem Weg noch helfen. Doch unsere Erfahrungen in Bolivien bestätigen wieder einmal unsere Befürchtungen. Zuerst dürfen wir 100 Kilo Kartoffeln und diverse Taschen auf unser Dach schnallen, dann quetschen sich die zwei ungeduldigen Ömis rein, der Herr drängelt ebenfalls und zu guter Letzt springt noch ein Hund hinzu und sucht sich ein nettes Plätzchen.

Wir schaukeln nach Sicuani und die Strasse wird immer schlechter. Überall liegen Felsbrocken herum. In uns tut sich die Frage auf, wieso die Leute hier zu faul sind, um die Steine von der Strasse zu entfernen. Kurze Zeit später erreichen wir eine neu asphaltierte Strasse, aber auch die können wir nur im Schritttempo befahren. Überall liegen Stein- und Felsbrocken, die über die ganze Strassenbreite verteilt sind. Uns dämmert es langsam und wir fragen unsere Passagiere, was hier denn los ist. «Die Steine kommen von den Demonstranten», sagt uns eine der Damen. «Welche Demonstranten?»... «Halt, nicht mehr weiter fahren», rufen uns die Herrschaften von hinten aufgeregt zu. Ich drücke aufs Bremspedal und vor uns stehen Hunderte von erbosten Bauern, die mit Stock und Prügel bewaffnet die vor uns liegende Strassenkreuzung blockieren.

In einem Sekundenbruchteil rücke ich den Retourgang ein und will umkehren. Doch auch hinter uns haben sich Demonstranten angesammelt, es bleibt uns nichts anderes übrig als anzuhalten. Schnell lassen wir unsere Mitfahrer aussteigen, denn wir Ausländer haben hier sowieso nichts zu sagen. Ein betrunkener Mann kommt in raschen Schritten auf uns zu und ruft seine Compañeros zusammen. Leute, die in diesen Ländern Strassenblockaden durchfahren, werden gewöhnlich mit Steinen beworfen. Eine der älteren Damen stellt sich vor uns in den Weg und fängt an, auf den erzürnten Mann einzureden. Endlose Zeit später wirft der das Handtuch und lässt uns in Ruhe. In einem nahe gelegenen Haus lässt uns ein Einheimischer in seinem Innenhof Schutz suchen. Umkehren dürfen wir nicht, denn sonst sei für unsere Sicherheit nicht gewährleistet, meinen die Demonstranten und wir nehmen ihre Worte ernst.

Die Demonstration dauert schon zwei Tage an, wir hätten Glück, heute Nacht können wir weiterziehen. Wir kommen mit den Leuten ins Gespräch und fragen nach dem Grund ihrer Blockade. Doch leider weiss niemand so recht Bescheid. Wir können es nicht fassen, der Grossteil der Menschen hier weiss nicht einmal, wofür sie demonstrieren. Ausserdem sind die Verträge (Liberalisierung der Märkte mit den USA) schon seit ein paar Tagen unter Dach und Fach, und sie können mit ihrem Streik sowieso nichts mehr bezwecken. Aber anscheinend gehört es hier einfach zur Freizeitbeschäftigung...

Als es dunkel wird, löst sich die Menschenmenge langsam auf. Einige Lastwagen starten ihre Motoren und beginnen, sich durch das Steingeröll zu schlängeln. Wir sehen, dass die Leute sie passieren lassen und machen uns ebenfalls auf, weiterzureisen. 72 Stunden dauerte die Blockade an.


Andrea schreibt:

Im Schneckentempo kriechen wir nach Cusco, der Stau muss etwa 50 Kilometer lang gewesen sein, doch am nächsten Morgen ist die Fahrbahn wieder frei und niemand scheint sich noch an die vergangenen drei Tage zurückzusinnen. Mit einer neuen Erfahrung im Gepäck erreichen wir am folgenden Tag Cusco, die Hauptstadt der alten Inkakultur und wahrscheinlich die schönste Stadt ganz Südamerikas. An vielen Hausecken sieht man noch die Zeugnisse des alten Inkaimperiums, die unglaubliche Baukunst dieses Volkes hat die Zeichen der Zeit überdauert. In den engen Gassen verkaufen die Einheimischen ihre kunstvollen Stoffe und Silberwaren, wir fühlen uns in die Vergangenheit zurückgeschickt und geniessen die Schönheit Cuscos für ein paar Tage. Hier in Cusco ist auch der Ausgangspunkt für den Besuch der Touristenattraktion Nummer Eins Perus, die Tempelanlage Maccu Piccu. Lange haben wir hin- und herüberlegt, ob wir uns dem Touristenstrom anschliessen wollen, doch wir sind mit der Touristenpolitik dieses Landes einfach nicht einverstanden und entschliessen, diese Attraktion den restlichen 3500 Touristen zu überlassen, die hier täglich den geforderten Eintrittspreis zahlen möchten. Der Zeitdruck sitzt uns ein wenig im Genick und vor uns liegen noch einige Kilometer, also verlassen wir nach einigen schönen Tagen in Cusco den Altiplano und tauchen in eine neue Welt ein.

Über endlose Serpentinen schlängelt sich die Strasse durch die letzten Ausläufer der Anden. In uns tut sich Freude auf, als wir langsam wieder etwas Vegetation am Strassenrand entdecken, die mit jedem Meter, den wir uns dem Meeresspiegel nähern, zunimmt. Die Zeit im Altiplano war eindrücklich, doch nach so viel karger Berglandschaft sehnt sich unser Auge nach Grün. Nach einem halben Tag Fahrt befinden wir uns in einer total neuen Umgebung, wir sind um tropischen Tiefland Perus gelandet. Die Strasse führt durch winzige Dörfchen, die Population nimmt stetig zu. Es herrscht fast kein Verkehr, zu unserem Glück, denn ein Kreuzen ist in dieser engen und kurvenreichen Fahrbahn fast unmöglich.

Doch trotz aller Vorsicht geschieht irgendwann dann doch das Unausweichliche. In einer Kurve kommt uns ein vollbeladener Laster mit Vollgas entgegen, Martin reagiert blitzschnell und steuert den Landy in die einzig mögliche Richtung, weg von der Strasse.  Puh, Glück gehabt, stöhnen wir und merken nicht, wie unser Pajarito sich auf einer Seite immer mehr in die Schiefe neigt. Oh nein, wir sinken, wir sind in einem tiefen Schlammloch gelandet! Die nächsten Sekunden verstreichen in einer Ewigkeit, das Auto sinkt immer tiefer ein, Martin versucht uns irgendwie zu befreien, doch es ist hoffnungslos. Wenn ich jetzt die Hand aus dem Fenster strecke, kann ich den Boden berühren. Wir versuchen Gewicht zu verlagern, doch irgendwann bleibt Pajarito in Schieflage hängen, nichts mehr zu machen. Wir steigen durchs Fenster aus und starren auf unser abgesoffenes Reisevehikel. Hier kommen wir nie wieder raus, denken wir und holen schon mal den Handseilzug, um ihn an irgendeinem Baum zu befestigen. Zu unserem Glück kreuzen ein paar Bauarbeiter unseren Weg und mit vereinten Kräften, versuchen wir das Auto aus dem Schlammloch zu ziehen. Doch der arme Pajarito hat sich so tief in den Schlamm gesaugt, dass das Abschleppseil sofort reisst. Ein Camionero schafft dann endlich Abhilfe und wir köennen unseren Handseilzug an seinem Lastwagen befestigen. Mit genug Power schaffen wir es endlich, und unser Landy ist unbeschadet aus dem metertiefen Schlammloch ausgegraben. Ganz zittrig bedanken wir uns bei den Helfern und brauchen erst mal ein paar Minuten, um das Ganze zu begreifen.

Wir kramen unsere Dinge zusammen und fahren vorsichtig weiter, an jeder Kurve hupen wir und uns ist nicht mehr ganz wohl bei der Sache. Am nächsten Tag überqueren wir eine kleine Brücke und uns stockt der Atem, als wir unten in der Schlucht einen abgestürzten Laster sehen. Das muss erst kürzlich passiert sein, denken wir und sehen nach. Neben der Brücke entdecken wir zwei Kreuze, die beiden Camioneros sind gerade vor einem Monat hier gestorben. Der Laster bleibt liegen und rostet vor sich hin, hier ist es mit dem Kreuzen nicht so glimpflich ausgegangen, wie bei uns. Diese Strasse ist wirklich gefährlich.

Nach drei Tagen Fahrt durch den tropischen Urwald erreichen wir Puerto Maldonado. Hier haben sich die vielen kleinen und glasklaren Flüsse zu einem grossen Strom, dem Rio Madre de Dios, zusammengeschlossen und wir müssen ihn mit einem Floss überqueren, um unseren Weg fortsetzen zu können.

Der Strassenzustand wird stetig schlechter, immer wieder setzt Regen ein und verwandelt die rote Erde in Schmierseife. In kürzester Zeit ist es fast unmöglich, überhaupt noch vorwärts zu kommen, denn die Strasse besteht nur noch aus Schlamm. Doch zum Glück ist der Regen nach ein paar Minuten immer wieder vorbei und die Fahrt kann fortgesetzt werden. Vor einer kleinen Holzbrücke hat sich ein langer Stau gebildet und wir stellen uns ebenfalls in die Reihe. Ein Lastwagenfahrer hat mal wieder seine Ladung unterschätzt und ist auf der Holzbrücke eingebrochen. Der Verkehr steht still, doch die Einheimischen scheint das nicht im Geringsten zu beunruhigen. Vergnügt setzen sich die Leute zusammen, erzählen sich Witze und warten. Wir verkneifen uns die Ungeduld und machen einen Mittagsschlaf, bis irgendwann der Weg für uns frei gemacht wird. Wieder einmal sind wir froh, dass wir ein Geländefahrzeug haben, und können die beschädigte Brücke umfahren. Die Camioneros sind wahrscheinlich heute noch dort und warten bis die Brücke repariert ist.

Wir kommen nur langsam voran und erreichen nach weiteren Tagen Fahrt und Kampf gegen die Hitze und Moskitos das kleine Grenzdörfchen Inapari. Hier stempeln wir unsere Pässe und sind bereit für ein weiteres Land. Auf der anderen Seite der Brücke liegt nämlich Brasilien.


Martin schreibt:

In Assis Brasil, dem Grenzort über dem Fluss, empfängt uns eine andere Welt. Vierspurige, asphaltierte Strassen und eine moderne Betonbrücke führen in den Ort. Das kleine Städtchen ist erfüllt von Leben, Autos und modernen Häusern. Die Avenida ist mit Kopfsteinpflastern geschmückt und wir merken, um wie viel reicher dieses Land als seine Nachbarstaaten ist.

Wir suchen die Policia Federal auf um unsere Einreisepapiere zu bekommen. Dort werden wir vom freundlichen Beamten informiert, dass der Zoll und die Migration in Brasilea sind. Brasilea ist 130 Kilometer von Assis entfernt, liegt aber auf unserem Weg in Richtung Porto Velho. Wir machen uns sofort auf, um das Ganze hinter uns zu bringen. Während der Fahrt werden wir von der Polizei angehalten und die vier uniformierten Herren erklären uns ebenfalls, dass wir auf direktem Weg nach Brasilea fahren müssen, um das Auto beim Zoll anzumelden.

In Brasilea suchen wir zuerst die Policia Federal auf, um unsere Pässe stempeln zu lassen. Alles geht gut und wir sind glücklich, dass es hier so problemlos abläuft. Als wir am Zoll bei der Flussbrücke ankommen, folgt dann die Ernüchterung. «Von Peru dürft ihr nicht nach Brasilien einreisen», sagt der mürrische Zölllner. Uns verschlägt es die Sprache. Jetzt haben wir mit so vielen Polizeibeamten geredet und kein einziger hat uns so etwas gesagt. Ausserdem haben wir bereits den Einreisestempel im Pass. Ausländer dürfen über diese Grenze nicht einreisen, wir müssen zurück nach Peru und nach Bolivien immigrieren. Wenn wir in Bolivien sind, dürfen wir dann nach Brasilien einreisen. Wir können es nicht fassen. In wenigen Jahren wird die Strasse, die wir gefahren sind, Interoceanica heissen und die Hauptverbindung zwischen Peru und Brasilien sein. «Ausserdem sind wir am Streiken»... «Wie bitte?» «Ihr müsst nach Peru zurück, dann über Bolivien hier her reisen, und dann könnt ihr vor der Grenze warten». Wir rasten aus... so eine arrogante Person haben wir doch noch nie angetroffen. Wir werden laut, sie ebenfalls und anwesende Einheimische, die irgendwas zu verzollen haben suchen das Weite. Doch Wut ist niemals die Lösung auf ein Problem, und wir müssen einsehen, dass mit denen nicht zu diskutieren ist. «Wenn wir es genau nehmen würden, könnten wir euer Auto konfiszieren», droht uns ein anderer Zöllner. Genug, wir haben die Faxen dicke. Hier haben wir nichts zu bestellen, also kehren wir zur Migration zurück und lassen uns ausstempeln. Dort erfahren wir, dass der Streik schon seit 30 Tagen im Gange ist. Auf die Frage, warum uns niemand vorher darüber informiert hat, schweigen sie.

Ein Bolivianer, der dicht neben uns steht, hört unserer Unterhaltung gebannt zu. Als wir den Schalter verlassen, kommt er auf uns zu. «Es gibt hier im Ort noch eine zweite Brücke, ohne Kontrollen», zwinkert er uns zu. Wir sollen nicht nach Peru zurück, sondern direkt hier nach Bolivien einreisen. Uns fällt ein Stein vom Herzen, denn der Weg retour würde ein Umweg von 800 Kilometern bedeuten.

Der hilfsbereite Bolivianer steigt auf sein Motorrad und wir folgen ihm. Er führt uns zum Fluss und in wenigen Minuten betreten wir bolivianischen Boden. In Bolivien «verkleiden» wir uns als Rucksacktouristen und suchen die Migration an der anderen Brücke auf. Der Migrationsbeamte hinterfragt ein wenig den Eintagesstempel von Brasilien, aber schlussendlich bekommen wir doch unsere Visa.

Von Einheimischen erfahren wir, dass es im Ort zwei Zollschalter gibt. Den an der Brücke sollen wir meiden, was uns natürlich mehr als recht ist, da wir uns an der nebenan liegenden Migration als Backpacker ausgegeben haben. Das zweite Büro liegt an der Plaza, im Zentrum der Stadt. Es ist schon dunkel, als wir dort ankommen und der Schalter hat bereits geschlossen. Uns ist nicht wohl bei der Sache, weil hier viele Verkehrspolizisten herum spazieren und uns jederzeit kontrollieren könnten. Um das Risiko so gering wie möglich zu halten, checken wir im nächstgelegen Hotel ein und stellen das Auto in die Garage. Das Hotel entpuppt sich als 5-Sterne Palast mit Swimming Pool, Whirl Pool und Internet Anschluss in den Zimmern... So ein Tag könnte wirklich auch schlechter enden.

Die Nacht durch überlegen wir uns eine Geschichte, wie wir den bolivianischen Zöllner unsere erfolgreiche Ausreise nach Bolivien erklären können. Wir wissen, dass wir uns viel Ärger einhandeln können, weil wir nicht nach Peru zurückgereist sind.

Die endlos scheinende Nacht nimmt doch noch sein Ende und wir treten frühmorgens in die Empfangshalle des bolivianischen Zolls ein. Nervös wie noch nie legen wir dem Angestellten unsere Fahrzeugausweise hin und bitten ihn, uns das notwendige Formular für die Einreise einzustellen. Jede Bewegung seiner Hände verfolgen wir mit angespannten Blicken. Er hält uns ein Papier hin und steckt mir einen Kugelschreiber zu. Während ich beginne, die ganzen Nummern einzutragen fragt er uns, welche Teile wir im Norden Boliviens denn besuchen wollen. Gut haben wir uns die Nacht durch vorbereitet und können ihm «spontan» die gewünschten Antworten liefern. Eine halbe Stunde später händigt er uns das unterschriebene Formular aus und wünscht uns eine gute Reise. In der Sekunde, als er uns das Stück Papier in die Hände drückt, entspannen sich unsere Gesichtsmuskeln und wir beide strahlen ihn an, so dass er beinahe eine Sonnebrille braucht, um nicht geblendet zu werden.

Ob er unser Gejubel draussen auf der Strasse noch mitbekommen hat, wissen wir nicht. Auf jeden Fall sieht er nicht jeden Tag zwei so glückliche Touristen, wie wir es in diesem Moment waren.


Andrea schreibt:

So, jetzt sind wir also wieder legal in Bolivien, doch die Grenze scheint noch immer geschlossen zu sein. Deshalb entscheiden wir uns, einen Umweg nach Guayaramerin, einem andern Grenzort zu Brasilien, etwa 600 Kilometer von hier entfernt, aufzusuchen. Ein drittes Mal besuchen wir jetzt also dieses interessante Land und durchqueren ein ganz anderes Bolivien, als das, was wir bis jetzt gesehen haben. Die Urwaldvegetation ist hier besonders dicht. Wir übernachten unter dem dichten Blätterdach des Dschungels, um uns fremdartige Geräusche und Blut saugende Moskitos. Hier ist Malariagebiet, doch glücklicherweise ist die Regenzeit vorüber und die Ansteckungsgefahr etwas geringer. Hier in den Provinzen Pando und Beni sind die Menschen sich selbst überlassen. Die Strasse ist dicht besiedelt, überall tauchen kleine Bretterbuden hinter dichtem Gebüsch auf. Nackte Kinder baden im braunen Wasser der Flüsse, hier würden wir nicht mal die Hände waschen. Piranhas, Krokodile und giftige Schlangen treiben hier ihr Unwesen, doch die Menschen leben mit diesen Gefahren.

Der Strassenzustand ist hier noch schlechter, als auf der peruanischen Seite, und Brücken sind so gut wie nicht existent. Jeden grösseren Fluss müssen wir auf winzigen Flossen überqueren. Manchmal wird unser Auto mit einem motorbetriebenen Floss auf die andere Uferseite befördert. Oft müssen wir uns aber auch selbst übers Wasser ziehen.

Immer wieder stossen wir auf die gefürchteten Trancas, die Strassensperren der Polizei. Hier haben sich die Polizisten zu sehr aufdringlichen und mühsamen Gesellen entwickelt. Mit abgesprochenen, gefälschten Papieren versuchen sie uns das Leben schwer zu machen, wollen wieder mal Geld und Partizipationen sehen. Doch irgendwie kommen wir immer mit Diskutieren davon und müssen nichts bezahlen.

Zunehmend wird ein Durchkommen auf der vom Regen zerfurchten Strasse anstrengender. Ein Loch reiht sich an das Nächste, wir holpern mit 20 Stundenkilometern vorwärts. Irgendwann hat der eine Stossdämpfer die Hüpferei satt und die Schraube der Aufhängung löst sich ab. Wir verbringen die nächsten zwei Stunden damit, das verlorene Teil zu suchen, weil wir nicht wissen, wie weit es bis zur nächsten Siedlung ist. Das gesuchte Stück finden wir zwar nicht, dafür entdecken wir zwei grosse Würgeschlangen, die sich zum Sonne tanken auf die Strasse gelegt haben. Nach Blut lechzende Moskitos schlagen sich unterdessen die Bäuche an uns voll. Nach der erfolglosen Suche fahren wir zum nächstgelegenen Dorf, um eine Schraube für den Stossdämpfer zu kaufen. Hier gibt es nur einen einzigen Mechaniker, sein Haus sieht eher aus wie ein Schrottplatz und finden tun wir den Mechaniker auch nicht. So müssen wir uns eben eine eigene Lösung für die Aufhängung überlegen und trommeln das Dorf zur Hilfe zusammen. Nach weiteren zwei Stunden sind wir mit ein paar akzeptablen Utensilien bereit für die Weiterfahrt und montieren den Stossdämpfer nach dem Eindunkeln am Strassenrand.

Die nächsten zwei Tage verbringen wir weiter auf der Strasse zum Grenzort. Der Weg hat sich als anstrengender herausgestellt, als erwartet. Wir hoffen nur, der ganze Trubel wird sich an der Grenze lohnen. Nass geschwitzt und schmutzig wie noch nie, erreichen wir die kleine Stadt Guayaramerin. Das Glück hat uns heute einen Sonntag beschert, so können wir die Grenzüberquerung für heute sowieso vergessen. Die Dorfpolizei baut uns aber auf und beteuert, die Grenze sei offen, wir würden morgen keine Probleme haben. Uns fällt ein schwerer Stein vom Herzen, doch so ganz wollen wir dem Polizisten noch keinen Glauben schenken, denn erfahrungsgemäss ist die Polizei nicht immer auf dem neusten Stand, betreffend der Zustände auf der anderen Seite der Grenze.

Doch am nächsten Morgen behält der Dorfpolizist sein Recht. Wie auch immer, denn heute ist der erste Tag, an dem der brasilianische Zoll wieder arbeitet. Wir werden schnell abgefertigt und bekommen die lang ersehnten Papiere ausgehändigt. Unsere Freude kennt nun keine Grenzen mehr, wir jauchzen und tanzen, so froh waren wir schon lange nicht mehr. Noch vor ein paar Tagen riet man uns, für unseren Landy einen Unterstellplatz zu suchen und die Reise per Flugzeug fortzusetzen, denn meine Eltern kommen uns in Recife besuchen, ein noch weiter Weg, den wir, wenn der Streik noch lange gedauert hätte, mit Pajarito nicht mehr geschafft hätten. Doch wenn und aber, wir sind in Brasilien und freuen uns riesig darüber.

Auf der brasilianischen Seite finden wir Asphaltstrassen und Supermärkte. Nach so langer Zeit in Bolivien und Peru sind solche Dinge ein Grund zum Feiern.

Wir machen uns auf den Weg in die nächste Stadt. Hier in Porto Velho treffen wir jetzt noch ein paar Vorbereitungen für unsere nächste Tour, doch davon hört ihr ein ander Mal...