nichtswieweg... vier Abenteurer unterwegs

Unser Abschied von Argentinien und Chile
Reisebericht vom 10.03. - 18.03.2006, Argentinien und Chile
Highlights: San Juan, Tucuman, Salta, Paso de Sico, San Pedro de Atacama

Andrea schreibt:

Knapp sieben Monate haben wir nur in Argentinien und Chile verbracht, so gut hat es uns hier gefallen. Besonders Argentinien, mit seinen aufgeschlossenen, lebensfrohen  Menschen und den eindrücklichen Landschaften hat uns in seinen Bann gezogen. Doch uns kribbelt es nun schon seit längerer Zeit, beim Gedanken, bald in andere Gefilde zu kommen. Vor uns liegt ein völlig anderes, sehr spannendes Land und wir freuen uns riesig, es entdecken zu dürfen. Von Mendoza aus machen wir uns also auf nach Bolivien.

Wir haben vor, nun ein wenig schneller vorwärts zu kommen und fressen ziemlich Kilometer in Richtung Tucuman. Dort muss nämlich dringend unsere Haftpflichtversicherung verlängert werden, die bald abläuft. Wir fahren durch wunderschöne argentinische Wildwestlandschaft und kommen nur langsam voran, denn unsere gewählte Route stellt sich als Griff ins Leere heraus. Wir fahren etliche Desvios (Umleitungen), der Weg ist fast doppelt so lange.

Die Provinz Tucuman gehört zu den ärmsten Teilen des Landes. Der Zuckerrohr, der einst den Reichtum des Landes begründete, treibt die Campesinos heute in den Ruin. Die Monokultur des Zuckerrohrs macht der Provinz heutzutage schwer zu schaffen, zumal das gesamte Landgut gerade mal 100 reichen Familien untersteht, alle anderen arbeiten praktisch als Leibeigene.

Wir kommen um halb vier Uhr Nachmittags des Ablaufdatums unserer Haftpflichtversicherung in der Stadt Tucuman an. „Tut uns leid, wir haben schon geschlossen!“, erklärt uns der Sicherheitschef der San Cristobal Versicherung. „Aber das ist kein Problem, ihr könnt morgen wiederkommen, nur ein Tag über dem Versicherungsverfall passiert euch schon nichts, da gebe ich euch mein Wort.“

Etwas verdutzt suchen wir einen sicheren Schlafplatz auf einer bewachten Tankstelle und warten, bis die San Cristobal wieder öffnet. Am nächsten Morgen hören wir von warmen Duschen auf einer Tankstelle etwas weiter ausserhalb des Stadtzentrums und weil’s mal wieder an der Zeit wäre, lassen wir uns das nicht entgehen. Ausserdem macht die San Cristobal erst in einer halben Stunde auf. Beim Rückweg zur Versicherungsfiliale werden wir von einem grossen Polizeiaufgebot durchgewunken. Glück gehabt, die wollten unsere Papiere nicht sehen, jetzt nur noch hin zur Versicherung.

Doch nach etwa fünf Kilometern pfeifen uns drei Polizisten von der Strasse. Sie schwafeln etwas von einem Falta grave (schlimmer Verkehrsfehler), den die Polizisten weiter ausserhalb bei uns beobachtet hätten, und sie wären nun per Telefon beauftragt worden, uns dafür zu büssen. Wir wissen natürlich, dass wir nichts falsch gemacht haben, sie können es uns anscheinend auch nicht wirklich erklären. Wir bleiben aber ruhig uns zeigen die Papiere. Unglücklicherweise kontrolliert der schwer schielende Beamte unser Versicherungspapier und merkt, dass es abgelaufen ist. Komischerweise hat er sofort vergessen, dass wir einen schlimmen Verkehrsfehler begangen haben und konzentriert sich nur noch auf das Versicherungspapier. Wir versuchen ihm die Situation zu erklären, doch er schwafelt von 1000 Pesos Busse (ca. 450 Franken). Wir fangen an zu streiten und zu feilschen. Die drei Typen erklären uns, dass sie uns aus purem Mitgefühl die Busse senken wollen, 300 Pesos wären in Ordnung. Wir seien ja in Zeitdruck, so würde alles schnell erledigt, ohne Papierkrieg. Irgendwann sind wir bei 200 Pesos, und als wir ihre Ausweise sehen, oder auf’s Polizeibüro gehen wollen, werden die Drei immer nervöser und weichen aus. Langsam riechen wir den Braten und erkennen zu unserem Glück, dass das gar keine echten Polizisten sind, sondern Kleinkriminelle, die sich so einen Batzen dazu verdienen wollen. Woher sie ihre Uniform haben, ist uns aber ein Rätsel. Wir haben genug von dem ganzen Theater, schnallen uns an. Die drei Typen fragen verdutzt, was wir jetzt vorhätten. Wir rufen ihnen zu:“ Wir verschwinden, viel Spass beim Abzocken!“ und Martin drückt auf die Tube. Die Fahrt zur San Cristobal ist ein echter Albtraum. Alle Verkehrsteilnehmer, egal ob zu Fuss, per Fahrrad oder Auto, scheinen heute ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen. Jetzt nur keinen Unfall machen! Nass geschwitzt erreichen wir dann endlich die San Cristobal, die uns die Papiere gleich verlängert.

Irgendwie haben wir die Lust verloren, noch mehr Zeit in dieser Stadt zu verbringen. Ausserdem haben die drei Schauspieler eine Kopie von unserem Fahrzeugausweis, die ich ihnen nicht mehr aus der Hand reissen konnte und wissen, wo wir uns im Moment aufhalten. So ist die Entscheidung schnell klar: Wir fahren weiter nach Salta.

Durch eine enge Schlucht gelangen wir in ein wunderschönes Andenhochtal und besuchen dort das Dörfchen Tafi del Valle. Hier suchen wir uns dann auch einen schönen Schlafplatz und erholen uns von der ganzen Geschichte.

Wir passieren die bekannten Quilmes-Ruinen und lernen die traurige Geschichte des Indianerstamms kennen, der innert kürzester Zeit von den spanischen Eroberern ausgerottet wurde. Zur Erinnerung an die dunkle Geschichte trägt die populärste Biersorte Argentiniens noch den Namen dieses Volkes. Etwas später in Salta angekommen, treffen wir die letzten Vorbereitungen für unsere Zeit in Bolivien und geniessen die schöne Stadt mit seinen Fussgängerzonen und den kolonialen Bauten.

Vor dem endgültigen Übertritt nach Bolivien machen wir einen letzten Abstecher nach Chile, in die Atacamawüste. Deshalb entscheiden wir uns, über den Paso de Sico, nach San Pedro de Atacama zu scheppern. Der gesamte Weg kreuzt immer wieder die berühmte Eisenbahnstrecke des Tren a las nubes. Was heute nur noch als Touristenattraktion dargeboten wird, ist ein genialer Beweis technischer Baukunst. Im Jahre 1921 wurde die 901 Kilometer lange Eisenbahnstrecke unter den schwersten Bedingungen erbaut, um Salta und das argentinische Hochland mit dem chilenischen Pazifikhafen Antofagasta zu verbinden. 

Das letzte Dorf auf der argentinischen Seite des Passes lässt uns wirklich erschaudern. Die Menschen leben hier in absoluter Armut und in ihrem eigenen Dreck. So etwas hätten wir von Bolivien erwartet, nicht aber von Argentinien. Wir haben zwar gehört, dass in dieser Gegend noch heute Menschen verhungern, richtig glauben können wir das aber erst jetzt.

Unser letztes argentinisches Geld und einige Essensvorräte überlassen wir einer jungen Mutter, nicht älter als 17 Jahre, und schon fünf Kinder hat sie zu ernähren. Sie strahlt ihr schönstes Lächeln, das nur mit einem Zahn möglich ist und segnet unsere Reise. Ein armer Campesino möchte von uns mitgenommen werden, weil sein Fahrrad einen Platten hat. Wir fahren ihn zu seiner bescheidenen Behausung und schenken ihm die letzten Vorräte. Er ist uns sehr dankbar, fragt aber nach mehr, doch wir können ihm nichts mehr geben und sind erschüttert über die Armut der Menschen in dieser Gegend.

Der Paso de Sico überrascht uns mit imposanten Landschaften. Auf 4500 Metern übernachten wir und machen vor Kopfschmerzen kein Auge zu. Die Höhe hat uns schwer zugesetzt, doch dem Landy scheint es gut zu gehen.

Martin schreibt:

Die Grenzformalitäten auf argentinischer Seite gehen zügig voran. Der Zollbeamte macht uns darauf aufmerksam, dass er Deutsche und Schweizer sehr gut leiden kann und hofft auch ein paar Pesos damit er seine Alkoholfahne aufrecht halten kann. Mit so einer plumpen Anmache macht er auf uns keinen Eindruck, wir machen uns davon und erreichen somit Chile. Der chilenische Gendamerie Beamte kontrolliert unsere Papiere und fragt uns, ob wir etwas gefrühstückt hätten. Wir verneinen, und er schenkt uns spontan zwei Äpfel um Energie zu tanken. Die Überraschung unserseits ist gross, denn mit chilenischen Grenzbeamten haben wir auch schon ganz andere Erfahrungen gemacht.

Auf dem Weg überholen wir ständig ein Motorradfahrer-Pärchen. Als wir sie wieder einmal kreuzen während dem sie sich am Pistenrand ausruhen, gesellen wir uns zu ihnen und beginnen ein wenig mit ihnen zu plaudern. Sie beide stammen aus Australien, haben vor acht Monaten in Los Angeles ihre Reise begonnen und sind nun bis hierher vorgedrungen. In dem Moment, als sie uns von ihrer Route erzählen, wird uns wieder einmal bewusst, wie viel Zeit mittlerweile vergangen ist. Wir sind froh, jetzt in diesem Tempo zu reisen, denn vor uns liegen noch einige Ziele, die wir auf unserer Reise erreichen wollen.

Einige Zeit und etliche Serpentinen später kommen wir unten im Tal an. Endlich lässt auch das Brummen im Kopf nach, das wir jetzt einen ganzen Tag lang ertragen mussten. Wir befinden uns nun in einem der trockensten Gebieten der Erde und zugleich auch in einem der touristischen Highlights Chiles: die Atacama Wüste. Vor uns liegt eine graue, steinige, eintönige Landschaft und von weitem kann man reflektierende Salzflächen erkennen. Durch den Salar würde eine Strasse führen, doch um zum nächstgelegen Ort San Pedro zu gelangen, müsste dieselbe Strecke wieder zurückgefahren werden. Nach der atemberaubenden Szenerie, die wir auf dem Paso de Sico erleben durften, lässt uns nun diese Gegend relativ unbeeindruckt und wir verzichten deshalb auf diesen Rundkurs. Wir fahren dem Salar entlang nordwärts, Richtung San Pedro.

Als wir an dem Ort ankommen, müssen wir uns zuerst um die Einreiseformalitäten kümmern. Da wir eigentlich am nächsten Tag Chile verlassen und nach Bolivien einreisen möchten, haben wir uns vorgestellt, den üblichen Papierkram rund ums Auto beschleunigen zu können. Doch weit gefehlt und wir verbringen geschlagene drei Stunden in der Warteschlange vor dem Migrationsschalter und beobachten, wie die Grenzbeamten jeden einzelnen Backpacker auseinander nehmen und nach Ware durchsuchen.

Als wir an der Reihe kommen, ziehen wir unser gewohntes Programm auf. Andrea fragt die Durchsucher tausend Sachen rund um ihren Job und über die Gegend. Ich mache ebenfalls, was ich am besten kann: Fragen rund ums Auto beantworten und dem Zöllner den Schweizerischen Fahrzeugausweis erklären. Während dem ich vom Büro zum Auto zurückkehre muss ich wieder einmal schmunzeln. Hinter dem Steuer unseres Landys hockt der Gesundheitsbeamte und strahlt über beide Ohren. Manchmal frage ich mich wirklich, was Andrea alles so erzählt, denn die beiden Gesundheitsmenschen wünschen uns nur das allerbeste und es hätte sie sehr gefreut unsere Bekanntschaft zu machen. Die Durchsuchung nach Früchten und Gemüse haben sie anscheinend auch vergessen und wir sind bereit für die Weiterfahrt.

Ein Rucksacktourist aus Frankreich hat seinen Bus verpasst und fragt uns, ob wir ihn in ein Hostal bringen können. Selbstverständlich sagen wir, obwohl der Typ auf uns einen etwas komischen Eindruck macht. Wir kommen nun endlich in dem kleinen Ort San Pedro an und können unseren Augen nicht trauen. Beinahe jedes Gebäude ist ein Hotel, Hostal, Hostería, Internet Cafe oder Pub. Anscheinend gibt es hier nur Touristen oder Souvenirshops. Auf der Strasse werden wir überall angesprochen, auf Englisch, Deutsch, Französisch. Irgendwie kommt es uns vor wie in einer Hippie Siedlung. Alle sind gut drauf und überall kann man sich hinpflanzen und miteinander plaudern. Mit unserem Vehikel sind wir hier aber definitiv fehl am Platz, denn überall ist es verboten zu halten.

Die Nacht verbringen wir deshalb auch etwas ausserhalb des Städtchens und bereiten uns seelisch auf die kommende Herausforderung vor: Bolivien!